: Wischen, kuscheln, patschen
GERÄTE Was kann Apples iPad wirklich? Unser Autor ist ein Techniktrottel. Er testete das Ding. Am Küchentisch und auf der Couch
■ Starts: In Deutschland will Apple das iPad ab Ende Mai verkaufen. Auf dem US-Markt gibt es das Gerät schon seit Anfang April. Am ersten Tag wurden mehr als 300.000 Modelle verkauft.
■ Kosten: Der Deutschland-Preis soll am 10. Mai festgelegt werden. In den USA ist das iPad ab 499 Dollar (rund 375 Euro) zu haben. Je nach Speicherplatz teurer. Zusätzlich kassiert Apple (Gewinn erstes Quartal 2010 3,1 Mrd. Dollar) über die virtuellen Läden iBooks (Bücher) und iTunes (Filme, Musik).
■ Maße: 680 Gramm, damit rund 200 schwerer als ein 700-Seiten-Taschenbuch. 24,2 Zentimeter hoch, 18,9 Zentimeter breit.
■ Knöpfe: Lautstärkeregler, Home-Taste, Ein-Aus-Knopf und einen zum Feststellen des Displays. Ansonsten kennt das iPad nämlich kein Richtigrum, alles auf dem Display dreht sich mit, je nachdem, wie man es hält.
VON GEORG LÖWISCH
Was soll ich nur mit ihm machen? Um es in einer Hand zu halten, ist das iPad zu groß und zu schwer. Nehme ich beide Hände, fehlt mir eine zum Bedienen. Lege ich das Ding auf das Tischchen vor mir, muss ich mich vorbeugen, um überhaupt etwas zu sehen. Balanciere ich es auf dem Schoß, ist es nicht breit genug, und ich muss die Beine zusammenkneifen. Also schlage ich das rechte Bein übers Linke, balanciere das iPad darauf, sichere es mit der linken Hand und lehne mich zurück.
Ich sitze im „St. Oberholz“, ein Café in Berlin-Mitte, unbegrenzter WLAN-Zugang, hier tippen die Digitalnomaden und investieren ihr Budget in Latte macchiato oder Minztee. Ein IBM-Laptop, vier weiße MacBooks, sechs silberne MacBook Pros.
Und ein iPad. Das habe ich.
Es ist Donnerstag, 17.40 Uhr. Drei Monate nachdem Apple-Chef Steve Jobs das iPad vorgestellt hat. Seitdem ist es hochgeschrieben worden – und wieder runter. In Manhattan juchzten die Fans vorm Apple Store, in Pittsburgh zerdepperte ein Junge sein Exemplar mit dem Baseballschläger. In Deutschland aber wurde der Verkaufsstart auf Ende Mai verschoben. So lange raunen, schwärmen und mäkeln die Leute über etwas, das es eigentlich noch gar nicht gibt.
Eigentlich. Weil Nelli, eine Bekannte von mir, doch eins hat. In ihrer Firma in Berlin entwickeln sie Designs für Zeitungen – vielleicht ist das iPad für sie die Zukunft. Deshalb hat Nellis Chef sich welche aus den USA schicken lassen. Und sie hat mir ihres zum Testen geliehen.
Damit bin ich gezielt ins „Oberholz“. Distinktionsgewinn soll doch eine der wichtigsten Anwendungen sein, die das iPad bietet – also bitte. Ein Typ starrt mich an, sonst äugt kaum jemand. Ich bin etwas enttäuscht.
Ich wische mit dem Zeigefinger über die Oberfläche des Gerätes. Entriegelt. Ich patsche auf das Symbol für Safari, den Internetbrowser. Tippe auf die Adresszeile, eine Tastatur erscheint. Schreibe taz.de, scrolle durch eine Wischbewegung und suche mit weiteren Fingerpatschern Artikel aus. Klappt.
Eine Mail zu schreiben, ist dagegen mühsam. Eigentlich arbeite ich mit zehn Fingern, aber als ich das versuche, flutscht mir das iPad beinahe vom Bein. So tippe ich die Buchstaben mit dem Zeigefinger an. Pick, pick, pick. Ich lege das Gerät aufs Tischchen, um doch mit zehn Fingern zu schreiben. Für die Screen-Tastatur sind meine Hände zu groß.
Als ich aufschaue, sehe ich gerade noch den höhnischen Blick eines Lockenkopfes, der sich wieder hinter sein MacBook verzieht. Wahrscheinlich liest er gerade in einem Blog, was das iPad nicht kann. Keine mobile Internetverbindung, keine Anschlüsse, keine Kamera, zu wenig Speicherplatz.
Vielleicht bekomme ich deshalb so wenig gierige Blicke von den Web-2.0-Jüngern im „Oberholz“. Was sollen sie anfangen mit einem Gerät, über das sie nur beschwerlich selbst etwas in die Netzwelt einbringen können?
Ich habe das iPad ernst genommen, weil Apple mit dem MacBook Prophezeiungen eingelöst hat, an die ich schon nicht mehr glaubte. Dass Computer, Telefon, Radio und Fernsehen verschmelzen, wurde seit Mitte der Neunziger geweissagt. All das kam aber erst in meinem Alltag an, nachdem ich mir 2007 ein MacBook angeschafft hatte. Ich Techniktrottel konnte Songs und Filme laden. Ich knipste die Geburtstagsgäste meines Sohnes mit PhotoBooth und skypte mit meiner Schwester in den USA.
Das iBook und später das MacBook konnten mehr als ein PC-Laptop. Und das iPhone konnte mehr als ein Handy. Eine Steigerung der Vorgängergeräte. Jetzt erwartet man natürlich vom iPad auch eine Steigerung. Weil es größer ist als das iPhone und neuer als das MacBook. Und nun kann ich nicht mal anständig darauf schreiben, mein Bein schläft auch noch ein.
19.23 Uhr, zu Hause. Jakob, sechs Jahre, hat schon den Schlafanzug an. „Heute Abend wird das iPad ausprobiert!“, kündige ich an. „Was ist das?“, fragt er. „So ähnlich wie der Computer.“ – „Können wir Playmobil gucken?“ – „Klar“, verspreche ich.
Jakob tippt playmobil.de ein. Das iPad rechnet. Es rechnet. Sollte nicht alles wahnsinnig schnell gehen?
Der Bildschirm färbt sich playmo-blau. Jakob und ich bringen uns bei, wie wir alles vergrößern oder verkleinern, indem wir auf dem Screen Daumen und Zeigefinger abspreizen oder wieder zusammenführen. Er tippt ein Zirkus-Telespiel an. „Schade, Sie haben kein Flash-Plugin installiert! Um unsere Zirkusseite nutzen zu können, bitten wir Sie, das kostenlose Flash-Plugin von Macromedia herunterzuladen.“ Ich tippe und werde weitergeleitet. „Sorry, Adobe® Flahs® Player is not available from adobe.com for your device’s operating system or browser.“
„Wollen wir lieber den Computer nehmen?“, fragt Jakob. „Nein, heute Abend ist iPad!“ Ein Erfolgserlebnis muss her. Wir gucken ein Youtube-Video, auf dem ein Bär einen Puma angreift. Das Bild ist okay, der integrierte Lautsprecher klingt gut. Der Puma siegt, der Bär trollt sich.
20.40 Uhr. Ich wähle tatort.de. Wieder kein flash®. Verdammt, ich will mich entspannen. Ich besuche den iTunes Store. Die Anwendung kenne ich vom MacBook: ein virtueller Laden, der Apple mit Musik und Film reich macht. Und mit der ich den hochnäsigen Videothekar in der Mittenwalder Straße aus meinem Leben streichen konnte.
Es gibt eine Auswahl Hollywoodfilme. Ich kuschele mich aufs Sofa, das iPad bekommt ein Kissen zum Anlehnen. Ich sehe mir Trailer an. Bilder scharf, Ton super. Ich wähle „Sherlock Holmes“ und gebe die Nutzerdaten ein, die ich im iTunes Store auf dem MacBook benutze. Das Gerät rechnet und rechnet.
Rechnet.
„Ihr account ist nur für Einkäufe im deutschen Store gültig.“ Langsam reicht’s. Muss ich US-Bürger werden, damit sie mein Geld nehmen?
Ich patsche gereizt auf dem Touchscreen herum. Holmes fände all die Abdrücke toll. „Hallo Georg!“ Ich bin in den deutschen iTunes Store überführt worden. 31 Kauf- und Leihfilme, alle auf Deutsch. Der Videothekar in der Mittenwalder hat mich zwar belehrt und vollgequarzt, mir aber nie vorgeschrieben, in welcher Sprache ich einen Film anschauen muss.
Ich kaufe für 13,99 Euro „The Boys Are Back“. Doch der Film geht nicht los. Auf dem MacBook kann ich Videos schon während des Ladevorgangs ansehen. Zum Ausgleich schaue ich mir das Youtube-Video des Teenagers aus Pittsburgh an. Der Junge, der mit der Baseballkeule auf sein neues iPad eindrischt.
22.20 Uhr. Am Küchentisch. „The Boys Are Back“ lädt noch. Ich tippe auf das Symbol der iBook-Bibliothek. Ein Buch ist schon da: „Winnie The Pooh“. Ich blättere die Seiten um, indem ich von rechts nach links wische. Fast wie bei einem richtigen Buch. Im iPad zu lesen, kommt mir anstrengender für die Augen vor, weil es ein bisschen spiegelt. Dafür kann ich durch Fingerspreizen die Schrift vergrößern. Die Zeichnung von Kanga und Baby Roo strahlt wunderbar.
Freitag, 8.50 Uhr. Ich liege auf dem Sofa und lese im iPad. „The Boys Are Back“ mag ich nicht mehr gucken. Zwei Lektionen von gestern: Das iPad ist ein Fläz- und Kuschelmedium. Und: Das Lesen ist vergnüglich.
Die New York Times hat schon eine iPad-Anwendung. Ich kann die aktuelle Ausgabe lesen. Sieht sehr nach Zeitung aus. Ich erkenne die Schriftart wieder, das Lay-out ist streng, vierspaltig, wenn man das Gerät querformatig hält und dreispaltig, sobald man es ins Hochformat dreht. Schick.
Ruhe durch Reduzierung
Auf dem MacBook rufen morgens immer die Mails, der Kalender, die Arbeit. Jetzt lese ich entspannt. Vielleicht, weil die Times das Einzige ist, was auf dem Bildschirm zu sehen ist. Vielleicht weil mir das Mailen mit der Patsch-Tastatur zu umständlich wäre. Hätte ich kein WLAN, wäre ich sowieso nicht in Versuchung. Man muss die Zeitung herunterladen, bevor man aus dem Haus geht, denn die mobile Verbindung fehlt dem iPad noch.
Vielleicht ist das iPad keine Steigerung anderer Geräte. Aber in der Reduzierung steckt Ruhe.
Das Magazin Paris Match erscheint auch schon in iPad-Version. Eigentlich untertrieben. Die elektronische Version schlägt das Papier um Längen. Die Fotos leuchten. Es gibt eine Reportage über Frühgeborene. Bineta, das Baby, liegt auf einer Waage, sie zeigt nur 1.035 Gramm an. Das Bild wirkt auf mich fast, als stünde ich vor Binetas Bettchen.
11.20 Uhr, Nellis Büro. Sie sagt, sie fliegt bald in Urlaub nach Griechenland. Sie überlegt, ob sie das iPad mitnimmt oder das MacBook. „Mit dem MacBook hast du nie frei“, sage ich. „Überall kannst du alles machen.“
Das iPad beschränkt sich hauptsächlich auf die Freizeit. Eigentlich ist das auch eine schöne Weiterentwicklung.