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Archiv-Artikel

Freilandeier künftig nicht mehr ganz so frei

Wegen der Vogelgrippe sollen Hühner auf unbestimmte Zeit in den Stall. Trotzdem wird es „Freilandeier“ geben

BERLIN taz ■ Künftig könnten Eier auf der Packung auch dann als „Freilandeier“ tituliert werden, wenn sich die Legehennen gar nicht so richtig im Freien aufgehalten haben. Statt des ungehemmten Auslaufs auf der grünen Wiese soll schon eine Großvoliere reichen, um das Prädikat „Freilandei“ zu rechtfertigen. Eine entsprechende Regelung will CSU-Landwirtschaftsminister Horst Seehofer heute mit seinen EU-Kollegen auf dem Agrarrat abstimmen.

Seehofer steht vor einem Problem: Er will die Stallpflicht für Geflügel unbefristet verlängern, um die Tiere vor der Vogelgrippe zu schützen. Doch der deutsche Verbraucher schätzt kein Stallei – die Legehenne soll naturgemäß leben. Etwa 50 Prozent aller Deutschen kaufen Bioeier.

Um die konventionelle Geflügelhaltung nicht noch weiter zu schädigen, will Seehofer die Stallpflicht mit dem Anschein der Freilandhaltung verbinden. Seine Antwort ist die Großvoliere: Dieser Stallanbau muss überdacht sein und an den Seiten engen Maschendraht haben, damit das Geflügel nicht mit Wildvögeln in Berührung kommen kann.

In der Branche bezweifelt man allerdings, dass sich Seehofer auf dem EU-Agrarrat durchsetzt. „Vor allem Länder mit traditioneller Freilandhaltung wie etwa Frankreich werden dieses Manöver nicht vorbehaltlos schlucken“, glaubt Friedhelm Deerberg, der Biobauern bei der Geflügelhaltung berät. „Dort sind die Verbraucher viel kritischer.“

Stallpflicht in Deutschland, frei laufende Hühner in den Nachbarländern – das ist das Horrorszenario für die Bauern. „Wir würden Marktanteile ans Ausland verlieren“, beschwert sich der Zentralverband der deutschen Geflügelwirtschaft. „Seehofers Verordnung ist ein Schnellschuss. Mit uns wurde nicht geredet.“ Zwar will Seehofer gestatten, dass die Bauern in Ausnahmen ihr Geflügel frei laufen lassen. Doch der Zentralverband ist nicht besänftigt: „Mit diesen Einzelentscheidungen sind die Länder überfordert.“ Man fordert eine Bundeslösung. Seehofers Ministerium kontert: „Die Länder können die Lage vor Ort am besten beurteilen.“

Wie immer der Streit ausgeht: Viele Betriebe – ob konventionell oder ökologisch – werden auf die Freilandhaltung verzichten müssen. Hans Plate von Bioland wirbt trotzdem für die Produkte seines Verbandes: „Unsere Tiere werden mit biologisch erzeugtem Futter gemästet.“ Darauf verzichte die konventionelle Branche, „weil Biofutter doppelt so teuer ist“. Zudem seien die Volieren der Ökohöfe größer, genauso wie die Ställe. „Bei uns kommen 6 Hühner auf einen Quadratmeter, bei den konventionellen Betrieben sind es 9.“

Geflügel mit Freilanderfahrung muss im Stall bei Laune gehalten werden, damit die Tiere nicht aufeinander losgehen. Ein umfangreiches Animationsprogramm wird fällig. „Man muss ständig neue Angebote machen, damit die Tiere beschäftigt sind“, stöhnt Plate. Dazu gehören viel Stroh und abwechslungsreiches Futter wie Gemüsereste.

Doch bei einigen Geflügelarten kommt das Spaßprogramm für drinnen nicht besonders gut an. So paaren sich Gänse mit Vorliebe im Freien. Es wird auch nicht viel nützen, eine Ausnahmegenehmigung zu beantragen, damit ausgewählte Tiere doch noch auf die Wiese können. Problem: Dann dürfen die Gänseküken nicht an andere Betriebe zur Mast verkauft werden. „In diesem Jahr wird es fast keine deutschen Gänse zu Weihnachten geben“, prognostiziert Plate. Das Geschäft würden Polen und Ungarn machen, die ihre Tiere weiter ins Freie ließen. Für die Nachbarn lohne es sich, die Vogelgrippe zu riskieren. „Dort sind die Gewinnmargen höher, weil das Futter und die Löhne billiger sind.“ ULRIKE HERRMANN