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Archiv-Artikel

„Die Attitüde entscheidet“

NO-MUSIC Der Musiker und Künstler Martin Kircher spielt mit Identitäten und redet nur selten darüber. Der taz verriet er bei seiner Ausstellung in Bremen, was daran Punk ist

Martin Kircher

■ singt und spielt seit 1980 Gitarre bei der Punk-Band EA80, veröffentlicht Musik auf seinem Label „Musikzimmer“, betätigt sich seit Ende der 80er-Jahre als Performer und seit 2008 als Fotograf.

INTERVIEW RADEK KROLCZYK

taz: Martin, du zeigst in Bremen Fotografien, die du mit dem Selbstauslöser gemacht hast. Darauf sieht man dich in seltsamen Positionen, zum Beispiel auf einem Stuhl sitzend mit einem Sack über dem Kopf. Im Ankündigungstext sprichst du von nicht-inszenierten Bildern. Ist denn der Sack über dem Kopf eine natürliche Position?

Martin Kircher: Nicht-inszeniert im Sinne einer längeren Vorüberlegung oder gar Gestaltung der Umgebung. Die Orte werden spontan ausgewählt. Ebenso spontan bespiele ich diese Orte dann. Dieser Vorgang dauert meist weniger als eine Minute. Selbst der Bildausschnitt ist oft Glückssache, es gibt kein vorbereitetes Setting. Ich verwende nicht mal ein Stativ.

Du nutzt als Setting für die Fotos Ausstellungsräume. Das sind Inszenierungsräume, oder?

Es sind oft Ausstellungsräume. Gerne nutze ich ihre Peripherie. Ich wähle Ausschnitte, auf denen die eigentlichen Kunstwerke nicht zu sehen sind. Gerne auch leere Räume zwischen den Ausstellungen. Es sind Orte, die darauf warten, eingenommen und weitergedacht zu werden. Du verwendest für deine Projekte unterschiedliche Namen. Heute nennst du dich „Killerlady“. Welche Idee steckt dahinter?

Zunächst habe ich mich „Killer“ genannt. Das ist zum einen ein Gemeinplatz. Suchmaschinen führen einen überall hin. Es hat aber auch einen bedrohlichem Unterton. Mit meinen medienübergreifenden Experimenten kam die Namenserweiterung. Das Spiel mit den Identitäten ging dann erst richtig los. Nun ist es zu einem Verwirrspiel geworden.

Auch was deine geschlechtliche Identität betrifft …

Das nehme ich gerne mit. Es ist aber kein Programm. Ich wollte damit kein neues Kapitel im Geschlechtergleichstellungskampf aufmachen. Letztendlich geht es mir um den überall so gern proklamierten „künstlerischen Freiraum“ und die Möglichkeit, alles so benennen zu können, wie es mir gerade passt.

Auch Killerlady führt über die Suchmaschinen nach überall und nirgendwo. Willst du nicht gefunden werden?

Nein, doch. Das Anonyme in der Kunst hat mich immer schon interessiert. Die Residents waren dabei für mich die erste musikalische Anlaufstation. Ich mag das Image des Künstlers mit künstlichem Gesicht, das ihn automatisch aus dem Alltagszusammenhang reißt. So entsteht eine eigene Welt. Es darf allerdings nicht den popmäßigen Zwang geben, sich immer wieder neu erfinden zu müssen.

Die Autorenschaft wird noch komplizierter dadurch, dass du auf den Bildern selbst zu sehen bist. Wie weit geht hier deine Autorenschaft, wenn man den Selbstauslöser mitbedenkt?

Ich finde es reizvoll, Teil eines „Kunstwerks“ zu sein und nicht nur sein Erzeuger. Der Selbstauslöser ist mein technischer Assistent, der noch etwas unbeholfen zu Werke geht. So gibt es Platz für Zufälle und Fehler. Das ist mehr als nur die subjektive Perspektive.

Zur Eröffnung der Ausstellung hast du auch ein Konzert gespielt – eine klassische Punk-Show mit entgrenzenden Momenten gegenüber Publikum und Equipment. Zuschauer wurden angeschrien und Instrumente malträtiert. Wie verhält sich das zur Ausstellung?

Ein Killer-Auftritt ist vom Verständnis her immer Punk. Eine klassische Punk-Show ist es nicht. Ich vermeide Routine. Im Zusammenhang mit einer Killerlady-Ausstellung ergänze ich mit meinem Auftritt, was in den Bildern fehlt: Action, Drone und Lärm. Die Bilder scheinen erst mal als das genaue Gegenteil.

Eine Textzeile, die bei deiner Performance oft zu hören war, lautete: „I will not play any music at all“.

So bestimme ich bereits im Text meine Performance als “No-Music“. Auch mein Instrumentenspiel ist eine Art „Nicht-Spielen“. Was man hört, sind ja lediglich Klangmodulationen einer präparierten Orgel. Im Mittelpunkt steht das Innehalten, das „Nichts-Tun“, die „Nicht-Kunst“, das Ende. Das still sein kann, aber auch laut.

Viele Leute aus der Punkszene machen inzwischen Kunst oder Theater, deine Band veröffentlicht u. a. auf dem kunstaffinen Düsseldorfer Label Slowboy. Wie beurteilst du das Verhältnis von Kunst und Subkultur?

Es scheint, dass viele aus der sogenannten Punk-Szene, die den Fokus nicht nur auf die Musik legen, neue Betätigungsfelder suchen, um den längst engen und abgenutzten Inhalten und starren Grenzen zu entfliehen und neue Ausdrucksmöglichkeiten aufzutun. Das springt uns aber eher dadurch ins Auge, dass unser Punkbegriff so starr und begrenzt geworden ist. Die Attitüde entscheidet, weniger das Medium. Killerlady negiert diese Grenzen und sagt: Alles kann, auch wenn man nichts kann.

■ Killerlady: „+1 im Bild“, bis 27. Oktober, Spedition, Güterbahnhof