: Wie man mit Gas schnell reich wird
AUS MOSKAUKLAUS-HELGE DONATH
„Sa was, sa nas, sa gas“ – „Auf euch, auf uns, aufs Gas“, lautet der traditionelle Trinkspruch der Gasowiki, der 390.000 Beschäftigten des russischen Energiekonzerns Gazprom. Dessen Jobs sind in Russland heiß begehrt. Kein anderes staatliches Unternehmen zahlt bessere Löhne oder bietet umfassendere Sozialleistungen. Wer es unter das Dach Gazproms geschafft hat, ist vieler Sorgen frei. Die Gasowiki sind in Russland nicht nur privilegiert, sie fühlen sich gar wie ein Völkchen für sich.
Auch der Konzern erhebt Anspruch auf Exklusivität. Gazprom, an dem der Kreml 51 Prozent der Anteile besitzt, ist nicht nur Osteuropas größtes Unternehmen, sondern auch ein Staat im Staate, der sich die Regeln selbst setzt, nach denen er spielt. Stolz und Macht bilden dabei das Fundament einer selbstbewussten korporativen Identität. „Drehen wir den Gashahn zu, bleiben die Wohnzimmer in Europa kalt“, ulkten auch früher schon mal gut gelaunte Gasmänner auf den Unternehmensfluren. Gleichwohl verriet schon damals der Scherz einiges über das Selbstverständnis der Gebieter über Gas und Röhren.
Inzwischen gehören unverhohlene Drohungen zur PR-Strategie des Erdgasriesen. Dessen Chef, Alexej Miller, heizte letzte Woche die Ängste der EU-Kunden vor wachsender Abhängigkeit von russischem Gas nochmals kräftig an. Mit Blick auf die hungrigen Tiger in Asien drohte Miller mit überaus reizvollen Alternativen zum europäischen Gasgeschäft. Und fast zeitgleich bestätigte die Konzernzentrale in Moskau, dass Gazprom schon in einigen Jahren nicht mehr in der Lage sein könnte, die Nachfrage in allen Abnehmerländern zu decken. Die Fördermengen gehen zurück und die Erschließung neuer Vorkommen wurde bislang immer wieder vertagt.
Ins gleiche Horn stieß vorgestern auch der Chef des russischen Pipeline-Monopolisten, Semion Wainschtok: „Wir haben Europa mit Öl überversorgt.“ Exzessive Versorgung drücke die Preise. „Sobald wir das Öl nach China, Südkorea, Australien und Japan umleiten, wird dies sofort Öl bei unseren europäischen Kollegen abziehen.“
Transneft gehört zwar nicht zum Gazprom-Konsortium. Dennoch ist der Pipeline-Monopolist Teil der neuen Russland oder besser Kreml AG, die seit Präsident Wladimir Putin alle wirtschaftlich attraktiven Bereiche dem Zugriff des Kremls und seiner Paladine unterwirft. Die Aktion war konzertiert und kein bloßer Zufall. Mit der barschen Antwort reagierten die Hüter der fossilen Brennstoffe auf die Ankündigung britischer Wettbewerbswächter, die nach einem Übernahmeversuch durch die Russen schärfere Regeln für den Firmenerwerb vorgeschlagen hatten.
In Deutschland läuft es für Gazprom etwas einfacher, in das Geschäft mit dem Endverbraucher hineinzugelangen. Bei den deutsch-russischen Regierungskonsultationen heute und morgen in Tomsk wird Gazproms Anteil an der Vertriebsgesellschaft Wingas, einem Gemeinschaftsunternehmen mit Wintershall, von 35 auf 49 Prozent offiziell vertraglich aufgestockt. Die BASF-Tochter Wintershall wird im Gegenzug mit 35 Prozent an dem russischen Gasfeld Juschno-russkoje beteiligt.
Die Kooperation mit Russland im Energiesektor läuft seit fast drei Jahrzehnten problemlos. Moskau wird auf den europäischen Markt noch lange angewiesen sein. Grund zur Panik besteht daher nicht, zumal die Pipelines in die boomenden Regionen Asiens erst noch bewilligt, vorfinanziert und gebaut werden müssen. So etwas braucht in Russland länger als in Gesellschaften, die der Logik des Kapitals unterworfen sind.
Doch ebendies ist in Russland nicht der Fall, und auch Gazprom ist kein Konzern, der nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten funktioniert. Weder innen noch außen. „Gas und Öl gehören zu Russland wie Militärbasen“, schrieb die Zeitschrift Russia in Global Affairs. Es war kritisch gemeint, entspricht aber der Wahrnehmung der russischen Gesellschaft, die in Gazprom ein probates Instrument russischer Außenpolitik sieht.
Die Lieferstopps Anfang des Jahres an die Ukraine, Moldawien und Georgien galten weniger den geforderten Preiserhöhungen denn der Rückeroberung politischer Einflussnahme. Ernährte Gazprom früher die Ambitionen der kommunistischen Supermacht, sind es heute die imperialen Träume der neuen Sicherheitsoligarchie im Kreml, die der Energiemagnat bedienen soll.
Daher ist es kein Zufall, dass der Kreml wieder die Aktienmehrheit hält. Offiziell gehören dem Staat 38,4 Prozent, russische Firmen teilen sich 36,8, ausländische Firmen 11,5 und russische Privatpersonen 13,3 Prozent. Unter den russischen Firmen befinden sich mehrere Gazprom-Töchter, an denen der Staat wiederum beteiligt ist. Durch den Erwerb von vier dieser Töchter 2005 sicherte das Unternehmen Rosneftegas sich und damit dem Staat einen Anteil von 51 Prozent. Erst daraufhin liberalisierte die Regierung auch die Bedingungen für den Erwerb von Gazprom-Aktien durch Ausländer.
Putins Statthalter
Auch ist es kein Zufall, dass Wladimir Putin mit Alexej Miller einen alten Intimus auf den Chefsessel Gazproms hievte. Beide kennen sich aus der gemeinsamen Zeit in Sankt Petersburg. Miller gilt als loyal bis zur Selbstaufgabe und erhebt keinen Anspruch auf eigene Ideen. Wer bei Gazprom Miller sage, meine eigentlich Putin, behaupten Eingeweihte. Dem Kremlchef gefalle die „Idee eines Supergasmonopols, das einen Supereinfluss auf Politik, Wirtschaft und internationale Beziehungen ausübt. Er scheint zum Gas so etwas wie ein libidinöses Verhältnis zu haben“, sagt Ex-Energieminister Wladimir Milow. Was im Gassektor passiert, bestimme im Wesentlichen der Präsident allein.
Dass der Vizepremier Dmitrij Medwedjew, auch er ein enger Gefolgsmann Putins, dem Aufsichtsrat vorsitzt, unterstreicht einmal mehr, wie weit die Verflechtung von Politik und Wirtschaft bewusst forciert wird.
Innenpolitisch dient der Energiekonzern den führenden Kreisen als Cashcow[,]die gemolken wird, um die Interessen der Machterhaltung der so genannten Elite über die nächsten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen zu gewährleisten. Zum Vizechef der hauseigenen Gazprom-Bank wurde im Januar der Sohn Sergej Iwanows, des Verteidigungsministers, ernannt.
Eine leitende Position in der Politik war schon immer Voraussetzung für einen führenden Posten bei Gazprom. 1989 ließ Michail Gorbatschow den Bereich des Gasministeriums in den Staatskonzern Gazprom umwandeln und ernannte den bisherigen Energieminister Wiktor Tschernomyrdin zum Unternehmenschef. 1992 wurde dieser Ministerpräsident und hatte sich als leitender Gasowik den Ruf eines begnadeten Geschäftemachers erworben. Im Umfeld der Cashcow Gazprom war eine unüberschaubare Sippe von Tochtergesellschaften und Töchtern von Tochtergesellschaften entstanden, die Gas zum Spottpreis bezogen und teuer weiterverkauften.
Beliebt ist es auch, bei Ausbau und Wartung des eigenen Pipelinenetzes, Geld in private Taschen zu wirtschaften. Milliarden gingen jährlich verloren, klagen Minderheitsaktionäre regelmäßig. Gazprom baut, kauft und fördert überteuert. 1.000 Kubikmeter Gas kosten weltweit zwei oder drei Dollar, bei Gazprom schlägt die Förderung mit bis zu fünf Dollar zu Buche. „Alle Einkäufe beruhen auf persönlichen Beziehungen und laufen über Firmen, die den Mitarbeitern des Monopols nahe stehen“, schreibt die russische Ausgabe von Forbes. Die Schwarzgelder wanderten dann auf Konten bei westlichen Banken.
Die Korruptokratie
Gazprom sei ein besonders schwerer Fall von Korruptokratie, meint auch Wadim Klejner von der Moskauer Investmentgesellschaft Hermitage Capital. Es sei schwierig, an Informationen heranzukommen, weil der Konzern sich wie ein „geschlossener Klub“ geriere. Als Gazprom 2005 dem Aufsichtsrat ein Budget über 23 Milliarden Dollar präsentierte, waren zwei Drittel der Kosten nicht näher ausgewiesen oder geheim. „Wie soll da ein Aufsichtsrat Kontrollfunktionen ausüben?“, fragt Klejner.
Eine rhetorische Frage. Denn niemand soll kontrollieren, ausländische Minderheitsaktionäre schon gar nicht. Es sei denn, sie bringen – wie Vertreter der deutschen Wirtschaft – großes Verständnis für diese Praktiken auf.
In die kostenintensive Gasförderung investierte Gazprom 2005 etwa 2,45 Milliarden US-Dollar, während Investitionen in energiefremden Bereichen bei über 6 Milliarden Dollar lagen. Fernsehsender und Medien, Fischereibetriebe und Hühnerfarmen, Yachthäfen und Banken gehören zum Imperium. Nicht verwunderlich, dass die Gasförderung bei Gazprom im Gegensatz zu privaten Förderern seit 1999 stagniert. Auch die Rohrleitungen mit einer durchschnittlichen Nutzungsdauer von 33 Jahren seien mittlerweile schrottreif, meint Milow. Moskaus Rechnungshof hielt vor fünf Jahren 57 Prozent der Produktionsmittel für abgenutzt. Die ineffektive Maschine Gazprom könne nicht mehr lange so weiterexistieren, warnte bereits Ende 2004 Wirtschaftsminister Gref. Verändert hat sich seitdem nichts.