KÖRTING MIT GEFÜHL UND HÄRTE, KIDS OHNE SINN UND ZIEL : Postpubertierende, komplett vermummt
VON JURI STERNBURG
Seit 1991 gab es für mich immer wieder vielerlei Gründe, mich am 1. Mai ins Gewühl zu werfen, ob zum Steineschmeißen oder zum Mädchenbeeindrucken, manchmal aus Wut über die Neonazis oder über die Polizei, manchmal auch aus Wut über die Mädchen und um die Neonazis etwas zu beeindrucken.
Bewusst erlebte ich diesen Feiertag zum ersten Mal mit sieben Jahren, im Matrosenanzug und mit roter Sturmmaske auf dem Kopf. Eine Postkarte zeugt von diesem Auftritt, und ich muss meinen Eltern dankbar sein, dass sie mich mitnahmen, immerhin kam ich dort bei einer der legendären Plünderungen von Getränke Hoffmann zum ersten Mal mit einer Cola in Kontakt („kapitalistische Giftbrause“ war in den eigenen vier Wänden verboten), die mir ein freundlicher Randalierer in die Hand drückte. Später ging ich aus Überzeugung zum 1. Mai.
Um 10 Uhr zur DGB-Demo, („Wer hat uns verraten? – Sozialdemokraten!“), um 13 Uhr auf die marxistisch-leninistisch-revolutionäre Maidemo und am frühen Abend auf die „Carhartt“-Demo. Wer damals keinen Pullover dieser relativ teuren Marke trug, war entweder nicht in der Antifa organisiert oder hatte sich noch nicht getraut, sich einen solchen Pullover zu klauen. Es gehörte zum guten Ton und erklärt sehr genau, worauf die Demo zusteuerte: auf ein Lifestyle-Event.
Angetan vom Versprechen der Veranstalter, sich dieses Jahr auf die politischen Inhalte zu besinnen, tingeln wir also zur Kottbusser Brücke. Die Stimmung ist gelöst, schließlich hat man bereits den Naziaufmarsch im eigenen Bezirk verhindert, der Tag hat sich also schon gelohnt, auch wenn die Boulevardpresse mal wieder schreiben wird, dass man das der „bürgerlichen Blockade des Anstands“ zu verdanken habe, vorneweg Wolfgang „dem Denkzottel“ Thierse, der zwar nach der vierten Aufforderung doch wieder aufsteht, aber immerhin versucht hat, mal nicht auf einem gepolsterten Stuhl zu sitzen. Die Polizei kontrolliert angeblich jeden Demoteilnehmer, unsere abstruse Truppe jedoch (ein betrunkener Schauspieler im weißen Lacoste-Pullover, ein Dreadlockfreak im „Punks not dead“-Shirt, einer „vom Fülm“ in kompletter Hooliganmontur sowie zwei, drei in klassischem Schwarz gehaltenen Dauerdemonstranten) gelangt – wie viele andere auch – ohne dieses Prozedere ans Ziel.
Die Straßen sind gesäumt von Mädchen in silbernen Leggins und Stöckelschuhen, Typen mit ähnlichen Outfits und den simplen „Gaffern“. Alle zücken ihre Handys und schießen den Beweis: Ja, ich stand todesmutig neben dem schwarzen Block and I survived. Stark irritiert sind wir von einer Art selbst ernannten „Schwarzer-Block-Aufsehern“, einer Gruppe Halbwüchsiger, die mehrere Kameramänner und Presseleute attackieren, auch auf am Boden Liegende wird noch munter draufgetreten. Auch Demoteilnehmer, die den Presseleuten helfen wollen, werden rigoros vertrieben. Als die Polizei nach Beendigung der Demo das erste Mal so tut, als ob sie angreifen würde, rennen sich mehrere der Spätpubertierenden selbst über den Haufen. Komplett vermummt, aber leider ohne Durchblick, so könnte das Motto des Abends lauten. Man wird das Gefühl nicht los, dass sich da sehr junge und unerfahrene Leute inszenieren wollen. Die Wirkung nach außen bestimmt das Handeln, geplante, gar sinnvolle Aktionen sucht man vergebens. Innensenator Körting hatte es angekündigt. Man werde mit „Gefühl und Härte“ gegen Randalierer vorgehen. Was nach dem Swingerclubmotto „Alles kann, nichts muss“ klingt, ist ein früher Slogan der Berliner Hausbesetzerszene gewesen. Ob sich Körting bei seinen vermeintlichen Gegenspielern bedient hat, weiß man nicht, seine Beamten haben ihr Konzept jedenfalls mehr oder weniger erfolgreich durchgesetzt.