: Brüssel will sechs Mal die Heide
Blauer Brief der EU: Niedersachsen soll rund 150.000 zusätzliche Vogelschutzgebiete ausweisen. Brüssel droht mit Klage und hohem Zwangsgeld, wenn sich Umweltminister Sander weiter sperrt. Der jedoch gibt sich gelassen
Niedersachsens Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) hat Streit mit Brüssel: Die EU-Kommission wirft Hannover schwere Versäumnisse im Vogelschutz vor. Mehr als 150.000 Hektar Vogelschutzgebiete soll das Land nachmelden. Das entspricht einer Fläche sechs Mal so groß wie die Lüneburger Heide. Sander stellt die Forderungen infrage. Die EU hat ihm eine Frist bis zum 10. Juni gesetzt. Signalisiert er bis dahin kein Einlenken, droht der Bundesrepublik eine Klage und eine hohe Geldstrafe.
Schon 2001, als in Hannover noch die SPD regierte, hatte die EU ein Vertragsverletzungsverfahren wegen mangelhaften Vogelschutzes eingeleitet. Die letzte Mahnung schickte Brüssel vor 14 Tagen. Neben Niedersachsen verstoßen acht weitere Länder gegen die Vorgaben. Reagieren sie bis Mitte Juni nicht, will die Kommission vor den Europäischen Gerichtshof ziehen. Bei einer Niederlage erwartet die Bundesregierung ein Zwangsgeld, das in früheren Fällen bis zu 800.000 Euro täglich erreichte.
„Wir hoffen, dass es zu keiner Klage kommt und die Länder die notwendigen Gebiete nachmelden“, sagte gestern ein Sprecher von Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD). Gabriel habe den Länderregierungen bereits mitgeteilt, dass sich der Bund mögliche Strafgelder von ihnen zurückholen würde.
In Hannover herrscht dennoch Gelassenheit. Sanders Sprecher Magnus Buhlert kündigte an, der Minister werde Brüssel fristgemäß eine Stellungnahme abliefern. Die Versäumnisse würden zurzeit aufgearbeitet. Es sei aber „unwahrscheinlich“, dass alle geforderten Areale gemeldet werden. Buhlert: „Wir werden selbst fachlich entscheiden, was sinnvoll ist.“
Bisher hat Niedersachsen mit 530.000 Hektar etwa zwölf Prozent seiner Fläche als Vogelschutzgebiete angemeldet. Zusätzlichen Bedarf für seltene Arten wie Uhu, Rotmilan und Schwarzspecht sieht Brüssel etwa im Hildesheimer Wald, im Solling, am Jadebusen und auf der Halbinsel Krummhörn.
Paradoxerweise könnten die Versäumnisse im Naturschutz Industrie- und Verkehrsprojekte verzögern. Denn nach EU-Recht müssen Gebiete erst als schutzwürdig ausgewiesen werden, bevor Ausnahmen zum Bau von Straßen und Industrieanlagen gemacht werden dürfen. Die Grünen im Landtag warnen nun, Sanders Sturheit gefährde die Pläne für die A 22, den Ausbau des Forschungsflughafens Braunschweig und den Tiefwasserhafen in Wilhelmshaven. Die Betreiber des Hafens setzten sich darum für die Meldung des Voslapper Grodens nahe Wilhelmshaven ein, auf dem seltene Arten wie Rohrdommel brüten.
Die Ausweisung der Fläche stehe „kurz bevor“, beruhigt indes Ministeriumssprecher Buhlert. Auch die Meldung der Buxtehuder Moore nahe der neuen Autobahn und der Wälder beim Braunschweiger Flughafen „haben wir im Blick“. Eva Weikert