Neue solidarische Verantwortung
Wenn die SPD es ernst meint mit ihren Steuerplänen, sollte sie eine Solidarabgabe für Bildung vorschlagen. Ein solcher „Bildungssoli“ wäre sozial gerecht und dringend nötig
Es mangelt nicht an Lippenbekenntnissen aller Parteien, dass man für Bildung mehr tun wolle
Es ist eine alte politische Erfahrung: Eine große Koalition kann manchmal beweglicher als andere Konstellationen sein. So wird in Deutschland auch ganz regierungsnah plötzlich wieder über Steuererhöhungen jenseits der bereits beschlossenen Mehrwertsteuer nachgedacht.
Den Anfang machten die Gesundheitspolitiker, wo ein Gesundheitssoli, also ein Zuschlag zur Einkommen- und Körperschaftsteuer, nicht mehr ausgeschlossen wurde. Jetzt hat der designierte SPD-Vorsitzende nachgelegt. Bei der Vorstellung der Leitlinien zum neuen Grundsatzprogramm forderte er mehr Staatseinnahmen für mehr Bildungsausgaben. Besonders ins Auge gefasst werden da die vermögenden Privathaushalte und die Kapitalgesellschaften.
Doppelt Recht hat er, der Ministerpräsident aus Mainz. In der Tat liegen bei diesen beiden Kategorien die deutschen Einnahmen besonders weit unter dem europäischen Durchschnitt. An Vermögensteuern insgesamt nahm Deutschland in 2003 ganze 0,8 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ein, in der EU waren es 2,1 Prozent. Und bei den Gewinnen der Kapitalgesellschaften holen wir hier nur 1,3 Prozent, während die Mitglieder der Europäischen Union schöne 3,1 Prozent erlösen. Zusammen macht die Differenz ziemlich genau die Summe aus, die nötig ist, um in Deutschland eine durchschnittliche Versorgung mit staatlichen Leistungen bei Bildung, sozialer Absicherung etc. zu finanzieren.
Recht hat Kurt Beck auch mit der Konzentration auf die Bildung, bei der in Deutschland eine drastische Unterfinanzierung und Unterdimensionierung zu verzeichnen ist. Dabei sind sich die Ökonomen in diesem Feld einmal ausnahmsweise ziemlich einig: Wachstum und Bildungsausgaben stehen in einem engen statistischen Verhältnis zueinander, und Deutschland hat in den letzten Jahren hier viel zu wenig investiert. Ein Kurswechsel in der Zuweisung von mehr Ressourcen beförderte auf mittlere Sicht sowohl das potenzielle Wachstum und erhöhte über den Abbau sozialer Zugangsbarrieren im Bildungssystem gleichzeitig die Chancengerechtigkeit.
Wachstumskritisch könnte jetzt eingewandt werden, dass ein solcher Effekt vielleicht gar nicht so eindeutig positiv zu bewerten sei. Aber das wäre eine zu enge Interpretation. Der ökonomische Erfolg misst sich vor allem in einer Produktivitätssteigerung, also in mehr Leistung pro Erwerbstätigen oder pro Arbeitsstunde. Ob man diese relative Verbesserung des menschlichen Schicksals, nach der Vertreibung aus dem Paradies „im Schweiße seines Angesichts“ sein Brot verdienen zu müssen, dann in mehr Brot oder in weniger Schweiß umsetzt – also mehr freie Zeit für sich, für die Familie, die Freunde oder das ehrenamtliche Engagement –, das ist eine zweite, dadurch noch nicht vorbestimmte Entscheidung.
Warum kann man mit der neuen SPD-Erleuchtung trotzdem nicht wirklich zufrieden sein? Sie verschiebt ein aktuell drängendes Problem allzu leicht in eine ferne Zukunft, anstatt die CDU/CSU zu zwingen, jetzt Farbe zu bekennen, vielleicht sogar deren Zustimmung zu erreichen. Das ginge mit einem „Bildungssoli“. Die Möglichkeit einer solchen Ergänzungsabgabe sieht Artikel 106 Grundgesetz ausdrücklich vor, und wir haben so etwas aktuell bereits in Form des „Ostsoli“. Ein großer Vorteil ist: Seine Einnahmen stehen ausschließlich dem Bund zu. Damit eröffnet ein Zuschlag zur Einkommensteuer (und Körperschaftsteuer) tatsächlich der Bundestagsmehrheit einen autonomen Spielraum, ein eventueller Widerspruch im Bundesrat durch wahlkämpfende Landesfürsten ist irrelevant.
Ein zweites positives Merkmal ist: Die Ergänzungsabgabe trifft faktisch natürlich die Besserverdiener überproportional, da im unteren Segment wegen der Freibeträge und niedrigen Tarife nicht allzu viel an Einkommensteuer bezahlt wird. Dies korrigiert damit wenigstens etwas die in den letzten Jahren wieder zunehmende Einkommensungleichheit. Drittens gilt: Dieser Zuschlag muss nach der Karlsruher Rechtsprechung für Programme ausgegeben werden, wo ein fiskalischer Mehrbedarf tatsächlich entsteht und diese Ausgaben auch vor allem beim Bund auftreten. Ein Bildungssonderprogramm des Bundes dürfte dieses Kriterium sicher erfüllen.
Und politisch stieße man damit auf viel Sympathie in der Öffentlichkeit, deren Aufmerksamkeitsfokus sich längst darauf gerichtet hat. Zählt man für die letzte Dekade zentrale Wortstämme in den Schlagzeilen deutscher Zeitungen aus, tauchte anfänglich der Krisenbegriff Umwelt mehr als dreimal so häufig wie Bildung auf. Mit der Zeit bewegen sich aber die Werte aufeinander zu. Heute, nach Timss, Pisa, OECD-Vergleichen und Rütli-Exzessen, ist „Bildung“ in der öffentlichen Wahrnehmung etwa gleich wichtig geworden.
An Lippenbekenntnissen aller Parteien, dass man hier mehr tun wolle, mangelt es zwar nicht. Alle haben gespürt, dass Bildung in der Öffentlichkeit ein zunehmend wichtiges Thema darstellt. Aber wenn es zum Schwur kommt, es also um mehr finanzielle Mittel geht, haben bisher noch alle gekniffen. Dabei lässt sich der Fehlbetrag durch den Vergleich der deutschen Ausgaben mit denen des OECD-Durchschnitts auf etwa 10 Milliarden Euro jährlich beziffern, was einer Steigerung des öffentlichen Bildungsbudgets um etwa ein Achtel entspricht. Und wieder auf Basis des internationalen Vergleichs, lässt sich über den Daumen gepeilt bestimmen, sollte davon etwa die eine Hälfte an die Schulen (vor allem die Grund- und Hauptschulen), die andere an die Hochschulen fließen.
Die Bürger wären bereit, für die Verbesserung der Bildung knapp 40 Euro pro Monat mehr zu zahlen
Gut 10 Milliarden Euro bringt aber gerade der bestehende Ostsoli, ein Zuschlag auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer von 5,5 Prozent, an Einnahmen. Dieser sollte deshalb einfach verdoppelt werden. Wie steht es mit der Bereitschaft der Bürger für höhere Steuern? Gar nicht so schlecht, wenn damit etwas als sinnvoll Angesehenes finanziert wird. Eine darauf zielende Umfrage ergab 2004 eine durchschnittliche Bereitschaft, für die Verbesserung der Bildung knapp 40 Euro monatlich mehr zahlen zu wollen. Das bedeutet hochgerechnet eine Extra-Zahlungsbereitschaft für Bildung von sogar noch etwas mehr als dem hier vorgeschlagenen Umfang.
Und noch etwas Gutes hätte ein solches Bildungssonderprogramm seitens des Bundes. Die mühsam zustande gekommene Föderalismusreform – so wichtig sie ist – sieht bisher leider vor, dem Bund keine Kompetenzen im Bildungsbereich mehr zugestehen zu wollen. Man möchte ihm sogar verbieten, eigene Finanzmittel den Ländern als Zuschuss zu offerieren. Das ist großer Unsinn. Nicht einmal die zentralismuskritischen USA gehen so weit. Mit dem Angebot eines jährlichen Zuschusses an die Länder in Höhe von 10 Milliarden Euro speziell für ihre darbenden Bildungssysteme sollten die Bedenken der Ministerpräsidenten wohl besänftigt werden können. Auch sie wollen schließlich wieder gewählt werden.
GERD GRÖZINGER