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Archiv-Artikel

Die Glatze, die niemand sah

Die WASG ist in Erklärungsnot: Wie schaffte es ein Rechtsextremer in den Bundesvorstand? Und warum fiel niemandem seine Gesinnung auf?

„Ich hatte schon immer den Verdacht, dass Wagner fremdenfeindliche Positionen vertritt“

VON ASTRID GEISLER

„Ach“, sagt Axel Troost mit einem ratlosen Lachen, „ein bisschen Langeweile am Wochenende, damit hätte ich mich schon anfreunden können.“ Als Mitglied des WASG-Bundesvorstands weiß er genau: Das kommende Wochenende wird mit Sicherheit allerhand bringen – nur keine Langeweile. Seit Wochen blicken viele Funktionäre der Wahlalternative Soziale Gerechtigkeit mit Grausen dem Bundesparteitag in Ludwigshafen entgegen. Der Streit um die Kandidatur gegen die PDS bei der Wahl in Berlin droht die Partei zu sprengen. Nun ist kurz vor dem Krisengipfel eine weitere Bombe explodiert. Eine, deren Schockwirkung niemand abschätzen kann.

Ein Mitglied des Bundesvorstands der WASG heuert bei der NPD an. Nicht einfach so. Andreas Wagner, 46 Jahre, seit etwa einem Jahr im obersten Parteigremium der Linken, übernimmt einen Job bei der NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag. Als sozialpolitischer Berater. Pünktlich zum Tag der Arbeit am 1. Mai. Ein Coup für die Rechtsextremen. Ein GAU für die WASG.

Die Katastrophennachricht erreichte die Partei am späten Dienstag, als die Sächsische Zeitung mit der Exklusivstory über die Druckmaschinen lief. Die Partei habe Wagner sofort kontaktiert, berichtet Helge Meves, in der WASG zuständig für das gemeinsame Parteiprojekt mit der PDS. Wagner habe seinen früheren Genossen aber nicht einmal den Gefallen getan, die Meldung zu bestätigen oder zu dementieren.

Die ohnehin angeschlagene 16-köpfige Führungstruppe der WASG muss sich nun fragen lassen: Wie schaffte es ein zumindest latent Rechtsextremer bis an die Parteispitze? Wieso fiel niemandem auf, wer da mit am Tisch saß?

„Uns war klar, das ist ein völliger Sonderling“, sagt Axel Troost. „Der war einfach komisch.“ Nur: Was heißt das bei einem jungen, bunten Haufen wie der WASG? Bei einer neuen Partei müsse man einfach damit rechnen, dass „einige schräge Vögel“ dabei seien, sagt Troost. Anfangs sei sie über Wagners Aussehen gestolpert, sagt die Berliner WASG-Spitzenkandidatin Lucy Redler. Sein Glatzkopf habe „nicht recht ins Bild gepasst“. Aber: „Man will sich doch nicht von solchen Vorurteilen leiten lassen.“

Wagner sei ziemlich ruhig und schweigsam aufgetreten, heißt es. Vor dem Parteitag im Mai 2005 habe er sich selbst als Vorstandskandidat ins Rennen gebracht. Da die WASG im Osten eine Zwergentruppe war und ein Ostvertreter im Bundesvorstand gewünscht wurde, sei der Unbekannte auf Anhieb gewählt worden.

Seither, versichert Troost, habe sich Wagner in Sitzungen nie fremdenfeindlich oder nationalistisch geäußert. Zumal er seit Sommer konsequent fehlte. Zunächst wegen einer Magenoperation, später habe er angeblich einen Unfall gehabt. „Wir dachten, der ist weiterhin krank“, sagt Parteisekretär Meves. Der Chemnitzer Kreisverband habe ihm sogar Blumen ins Krankenhaus gebracht.

Hat Wagner seine Positionen wirklich so perfekt verheimlicht? „Ich konnte mir gut vorstellen, dass Wagner solch einen Weg geht“, sagt Murat Cakir, ebenfalls im WASG-Bundesvorstand. „Ich hatte immer den Verdacht, dass Wagner fremdenfeindliche Positionen vertritt. Allerdings hat er die meist gut versteckt.“ Cakir erinnert sich jedoch, dass Wagner einmal gefragt habe, ob man angesichts der hohen Arbeitslosigkeit unbedingt das Thema Zuwanderung vorantreiben müsse.

Für die Partei stellt sich nun die Frage, wie sie reagieren soll. Bundesvorstand Axel Troost hält nichts davon, den Fall Wagner auf dem Parteitag am Wochenende groß zu thematisieren. Die WASG, sagt er, habe wichtigere Fragen, mit denen sie sich auseinander setzen müsse. Troost hat auch bereits eine hilfreiche Auslegung parat. In dieser Version des Geschehens heißt der Täter Wagner und hat einen zahlenden Hintermann namens Verfassungsschutz. „Gut möglich, dass uns der Verfassungsschutz den da reinplatziert hat“, sagt Troost. Schließlich sei es bekannt, dass die Schlapphüte die Linke nicht nur beobachten, sondern ihr auch schaden wollten.

Ob es der WASG-Spitze allerdings gelingt, den Vorfall mit einer kurzen Geste und dem Rauswurf des Bösewichts vergessen zu machen, darf man bezweifeln. PDS-Bundestagsabgeordnete wie Petra Pau haben sich seit Jahren den Kampf gegen Rechtsextremismus auf ihre Fahne geschrieben. Seit Ostern sind sie vorne dabei, wenn es darum geht, sich zu dem rassistischen Mordversuch in Potsdam zu positionieren. Ihnen dürfte die „Fremdarbeiter“-Rede des WASG-Kollegen Oskar Lafontaine noch in den Ohren schmerzen. Nun entpuppt sich ein Führungsmitglied jener Partei, mit der sie demnächst fusionieren sollen, als Rechtsextremist. Kein Wunder, dass sich gestern spontan niemand von ihnen zu dem Fall äußern wollte.

Die NPD hingegen kündigt an, den neuen Mitarbeiter demnächst groß zu positionieren. „Man kann davon ausgehen, dass besagte Person auch bei der 1.-Mai-Demo in Rostock dabei sein wird“, frohlockt der NPD-Sprecher. Nun habe die Anwerbekampagne in der WASG einen ersten großen Erfolg. Ob Wagner ein Einzelfall sei? Man solle doch die morgige Pressekonferenz abwarten.

Nichts als eine wichtigtuerische Drohung? Das will WASG-Vorstand Troost nicht mehr behaupten. „Insbesondere in den neuen Ländern“ seien weitere Fälle vorstellbar, fürchtet er.