: „Die Demo-Politik führte in eine Sackgasse“
Auf der Mayday-Parade sollen Probleme angesprochen werden, die am 1. Mai sonst niemand thematisiert, sagt Philipp Stein. Die Organisatoren kritisieren fehlende Rechte für Migranten und prekäre Arbeitsverhältnisse
taz: Herr Stein, Sie planen mit der Mayday-Parade einen Mix aus Demonstration und Love Parade. Auch das Myfest in Kreuzberg will politische Inhalte und Party miteinander verbinden. Warum beteiligen Sie sich nicht daran?
Philipp Stein: Das Myfest hat einen anderen Ansatz: Es geht um die Befriedung von Kreuzberg, die politischen Aspekte stehen hinten an. Uns geht es nicht um Grillwürstchen und Folklore. Der 1. Mai ist ein Protest- und Aktionstag. Daran knüpfen wir mit neuen Formen an, um auf prekäre Lebens- und Arbeitsverhältnisse hinzuweisen.
Sie wollen den Tag mit einer politischen Parade lebendiger machen. Auf dem Myfest gibt es elf Bühnen, im Kiez sind zwei weitere Demos angekündigt. Lebendig ist es auch ohne Sie.
Wir haben als einer von über 20 Mayday-Zügen weltweit einen internationalen Bezug. Gemeinsam setzen wir uns für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen ein und fordern Rechte für Migranten. Wir finden, dass diese Aspekte auf den ganzen anderen Partys und Demos zu kurz kommen und sich viele Menschen dort nicht repräsentiert fühlen.
Die meisten anderen linksradikalen Gruppen kritisieren Ihr Konzept als zu zahm und zu wenig revolutionär.
Wir haben nicht erwartet, dass alle Leute jubeln und unser Konzept uneingeschränkt begrüßen. Aber die frühere Demo-Politik hat in eine Sackgasse geführt. Klar gibt es Skepsis. Aber viele freuen sich, dass endlich mal jemand einen ganz neuen Ansatz wagt. Gestern zum Beispiel haben drei Gruppen weitere Wagen auf unserer Parade angemeldet. Damit nehmen bisher sieben geschmückte Lastwagen mit Musik auf der Ladefläche teil.
Kurzfristig planen Autonome nun doch eine „revolutionäre Demo“ um 18 Uhr, von der in der Vergangenheit meist Krawalle ausgingen. Ist Ihr Konzept damit nicht gescheitert?
Diese Demo richtet sich ja direkt gegen das Myfest und das Demonstrationsverbot dort. Sie fordert im Stil der Achtzigerjahre die Revolution, arbeitet sich aber an der Kiezbefriedung ab. Wir finden nicht, dass das die richtigen Antworten auf die heutigen Fragen sind.
Ich höre da keine Kritik an Krawallen und Gewalt.
Unsere Parade hat ihre besondere Form. Wir distanzieren uns aber nicht von militanten Protestformen, weil Militanz immer Ausdruck von radikaler Ablehnung bestimmter Verhältnisse ist. Das kann man in Frankreich, Spanien und anderswo sehen, wo sich viele Menschen militant gegen unzumutbare Lebens- und Arbeitsbedingungen wehren. Davon können und wollen wir uns nicht distanzieren. Zu einer Parade aufzurufen, widerspricht dem auch nicht.
Werden Sie es dulden, wenn Gewalt von der Parade ausgehen wird?
Wir glauben nicht, dass es da Probleme gibt. Wir möchten, dass sich Illegalisierte und Menschen mit Kindern an der Demo beteiligen können. Wenn Leute andere Aktionsformen wollen, sollten sie sich einen geeigneteren Ort suchen. Die Parade übt auf ihre Weise radikale Kritik. INTERVIEW: CHRISTIAN HONNENS