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Archiv-Artikel

Exminister mit Gedächtnislücke

Ziemlich zerstreut muss Italiens Wirtschaftsminister Claudio Scajola gewesen sein, als er sich 2004 eine Luxuswohnung in Rom kaufte. 180 Quadratmeter hat das Objekt, mit Blick direkt auf das Kolosseum, doch der Minister meint sich zu erinnern, er habe bloß 610.000 Euro gezahlt, denn die Immobilie sei „in ziemlich schlechtem Zustand“ gewesen. Die beiden Schwestern, die ihm als Verkäuferinnen gegenübersaßen, sprechen von 1,7 Millionen Kaufpreis.

Vor allem erinnern sie sich an ein Detail, das dem Minister völlig entgangen ist. Bei Abschluss des Vertrags saß auch ein Architekt mit am Tisch, der Barschecks in Höhe von 900.000 Euro mitgebracht hatte, um dem Minister eine Freude zu machen und den größten Batzen der Kaufsumme damit zu bezahlen. Scajola behauptet, von jenen Schecks habe er nichts mitbekommen. Bloß eines hat er jetzt bemerkt: „Eine Schlammkampagne der Medien“ sei gegen ihn im Gange.

So redete sich Scajola binnen wenigen Tagen um Kopf und Kragen. Darin hat er Übung. Denn schon einmal musste er – auch damals unter Silvio Berlusconi – als Minister zurücktreten. Im Jahr 2002 hatten die Roten Brigaden den Arbeitsrechtsprofessor Marco Biagi erschossen. Trotz Drohungen hatte Biagi keinen Begleitschutz erhalten, und dem damaligen Innenminister Scajola fiel nichts Besseres ein, als das Opfer als „Nervensäge“ zu schmähen, die laufend Polizeischutz verlangt habe.

Der 62-jährige Scajola, noch in der glorreichen italienischen Christdemokratie groß geworden, hat dort auch gelernt, eigene Interessen zum Maßstab der Politik zu machen. So sorgte er 2001 dafür, dass Italiens Fluglinie Alitalia einen Linienflug von Rom ins ligurische Nest Albenga einrichtete. Der Flieger war praktisch immer leer. Außer wenn Scajola an Bord war: Der Politiker stammt aus Imperia, ein paar Kilometer von Albenga entfernt.

2006 ließ die Regierung Prodis nach dem Wahlsieg der Linken jenen Flug einstellen, doch kaum kam Berlusconi 2008 erneut an der Macht, konnte Scajola sich über die wiederaufgenommene Flugverbindung freuen. Möglich, dass diese jetzt endgültig eingestellt wird: Am Dienstag reichte Scajola seinen Rücktritt ein. MICHAEL BRAUN