: Linke drohen Linken
VON STEFAN REINECKE
„Die Situation ist existenziell“, sagt Ulrich Maurer, parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion im Bundestag. Maurer war lange Chef der SPD-Fraktion in Baden-Württemberg. Jetzt hat er das Gezerre mit trotzkistischen Splittergruppen in der WASG satt. Deshalb müssten sich auch die Zögerlichen in der WASG entscheiden. Nicht morgen, jetzt. „Wer den Berliner WASG-Wahlantritt toleriert, will keine neue Partei.“
Deshalb wollen Maurer und Linksfraktionschef Oskar Lafontaine, dass der WASG-Parteitag am Wochenende den Wahlantritt der Berliner WASG im Herbst nicht bloß verurteilt. Er soll sich auch für „alle erforderlichen Maßnahmen“ gegen die Berliner WASG aussprechen, die gegen die PDS kandidieren wird. Und was, wenn die Delegierten dazu nicht Ja sagen? Dann droht die Spaltung. Dafür, so Maurer, gebe es schon Pläne – die er jedoch nicht verraten will.
So sieht die Krise der Linken derzeit aus. Eigentlich geht es um die Vereinigung von 12.000 WASG- und 60.000 PDS-Mitgliedern. Politisch ist diese Fusion sinnvoll. Die Linkspartei/PDS hat schon oft vergeblich versucht, im Westen Fuß zu fassen – jetzt hat sie dazu die Chance. Und die WASG, entstanden aus der Anti-Hartz-IV-Kampagne, kann langfristig nur mit PDS überleben. Auch politisch sind die gewerkschaftsnahen Kerne der WASG kompatibel mit der PDS. Trotzdem reden derzeit alle über das Gegenteil von Fusion – einer Spaltung. Der Übertritt eines WASG-Bundesvorstandsmitgliedes zur NPD hellt die Stimmung zudem nicht auf.
Maurers Manöver ist politisch folgerichtig. Und Taktik. Und gefährlich. Folgerichtig, weil die Mehrheit der WASG mit der PDS fusionieren will. Das hat die Urabstimmung gezeigt. Und konkurrierende Wahlantritte widersprechen dem Kooperationsabkommen von WASG und PDS. Taktik ist die Ankündigung, juristisch die Kandidatur der Berliner WASG zu verhindern. Denn laut Berliner Wahlgesetz ist es offenbar so, dass die Bundes-WASG die Kandidatur gar nicht zurückziehen kann. Trotzdem, so Maurers Kalkül, muss der Parteitag beweisen, dass er bereit ist, auch juristisch gegen die Abweichler vorzugehen. Sonst drohen „weitreichende Konsequenzen“ (Maurer). Die Rede ist von Strafen wegen des Verstoßes gegen das Parteiengesetz und sogar von der Annullierung der Bundestagswahl 2005, zu der WASG und PDS gemeinsam angetreten waren.
Vor allem aber ist Maurers Drohung riskant. Denn niemand weiß, wie der WASG-Parteitag am Wochenende entscheiden wird. Die 300 Delegierten wurden vor eineinhalb Jahren für zwei Jahre gewählt. Sie repräsentieren die WASG, die damals 3.000 Mitglieder hatte – und nicht jene, die heute per Urabstimmung für die Fusion votiert hat. Viele in der WASG sind zögerlich. Sie schrecken vor Sanktionen zurück. Ingrid Höger, WASG-Bundestagsabgeordnete, findet, dass die WASG-Kandidatur in Berlin „kein Weltuntergang“ sei. Außerdem habe auch die Linkspartei/PDS in Berlin Schuld an der Situation. (siehe Interview). Es ist die Mischung aus basisdemokratischem Gestus, Widerstand gegen den autoritären Stil von Klaus Ernst & Co und Versatzstücken von politischem Fundamentalismus, die die WASG so unberechenbar macht.
Der springende Punkt wird auf dem Parteitag die Frage sein, ob man der Berliner WASG juristische Maßnahmen androht. Allerdings wird es dort auch einen rhetorisch scharfen Antrag gegen die Berliner WASG ohne Sanktionsdrohung geben. Ihn unterstützen die Bundestagsabgeordneten Axel Troost und Hüseyin Aydin. Ob Maurer und Lafontaine auf der Formel, dass „alle erforderlichen Maßnahmen“ gegen die Berliner WASG ergriffen werden, beharren, wird sich zeigen. Wenn ja, riskieren sie viel. Denn eine Spaltung der WASG würde die Fusion wohl noch chaotischer machen. Und die Fusionsquerelen, so der WASGler Paul Schäfer, „schaden uns jeden Tag“.