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Archiv-Artikel

Die Blogosphäre dreht ein bisschen durch

POP Die Berliner Band Ballet School klingt trotz 80er-Anleihe sehr gegenwärtig – folgt auf den kleinen Hype um sie der Durchbruch?

„Es ist schon aufregend, dass dir überhaupt jemand zuhört“

LOUIS MCGUIRE, SCHLAGZEUGER

VON THOMAS WINKLER

Rosie Blair war klein und Madonna der größte Star der Welt. Jedenfalls musste die junge Rosie das denken angesichts des riesigen Posters. Die blondierte Madonna mit rot geschminktem Mund hing im Schaufenster des einzigen Plattenladens, den das Örtchen in Irland zu bieten hatte, in dem Rosie aufwuchs.

Nun, ein Vierteljahrhundert später, ist Rosie Blair auf dem Weg, selbst ein Popstar zu werden. Der künftige Popstar sitzt in einer Kreuzköllner Hipster-Kneipe und schlürft Ingwertee. Es ist Nachmittag, draußen schüttet es, Blairs Haare sind nass und blau. Die Farbe hat sie aufgelegt für den Videoclip, den sie am Vormittag mit ihrer Band Ballet School gedreht hat. Geht bald wieder raus, sagt sie.

Normalerweise sind die Haare der 29-Jährigen fast weiß gefärbt, blonder noch als die von Madonna, damals in den Achtzigerjahren. Blairs rot geschminktem Mund hat der Regen nichts anhaben können. Manchmal, sagt sie, fühlt sie sich wie der letzte Madonna-Fan auf Erden.

Das ist zu hören auf der ersten EP von Ballet School. Die erscheint am heutigen Freitag, heißt „Boys Again“ und zeigt nicht nur, dass Blair, Gitarrist Michel Collet und Schlagzeuger Louis McGuire die Vergangenheit gründlich studiert haben, sondern auch, dass sie gut Bescheid wissen, wie man einen Popsong konstruiert. „Jeder Songschreiber ist beeinflusst von der Musik seiner frühen Kindheit“, sagt Blair. Aber jeder einzelne der vier Songs auf der EP klingt mit drängendem Electro-Schlagzeug, flirrenden Gitarren und Blairs Gesang zwischen Sirene und Rockröhre nicht nur nach alten Zeiten, sondern vor allem wie ein Hit.

Ein dank modernster Produktion und trotz aktuell grassierendem 80s-Revival sehr heutiger Hit, der aber doch den größten gemeinsamen Nenner findet aus Kate Bush, Cocteau Twins, Don Henley, The Cure, Fleetwood Mac, The Associates und natürlich Madonna.

Es wird dieser Tage sehr viel geschrieben über Ballet School. Da steht dann: Pop-Sensation aus Berlin, haben unterschrieben beim renommiertesten britischen Indie-Label, große Stimme, riesige Melodien, besitzen den nötigen Glamour für eine Weltkarriere.

Blair posiert für Mode-Blogs und erklärt in hippen Magazinen, was in Berlin so abgeht. Grimes, Pop-Sensation der vergangenen Saison, hat getwittert, Blairs Gesang sei „schlichtweg fantastisch“.

Kurz: Die Blogosphäre tut das, was sie am besten kann, sie dreht ein bisschen durch. Und nicht nur die. Der englische Guardian, eine bekannt gute Adresse, wenn es um Popmusik geht, fand die Songs von Ballet School gut genug, um sie Mariah Carey anzudienen.

„Es ist schon aufregend genug, dass dir überhaupt jemand zuhört“, sagt Louis McGuire. Der Schlagzeuger ist 24 Jahre alt und in Leeds aufgewachsen. Er kam als Jugendlicher mit seinen Eltern nach Deutschland und stieß vor einem Jahr als Letzter zur Band.

Blair hatte nach dem Krebstod ihrer Mutter, die sie in den letzten Monaten gepflegt hatte, in Irland alles hingeschmissen und war 2010 nach Berlin umgezogen. Auf der Straße traf sie Collet, der mit seiner Gitarre versuchte, ein paar Euro zu verdienen. Der 32-Jährige stammt aus São Paulo und lebt seit fünf Jahren in Berlin von der Hand in den Mund und der Straßenmusik. Früher spielte der Brasilianer bei den mittlerweile bekannt gewordenen Camera stundenlange Improvisationen auf nächtlichen U-Bahnhöfen. „Ein Rock-’n’-Roll-Leben am Abgrund“, sagt Collet und bestellt erst einmal ein Nachmittagsbier.

Auch die anderen beiden zukünftigen Popstars bedienen aber vorerst noch das Klischee des armen Künstlers: Blair kellnert in einer schicken Bar in Mitte, McGuire verdient sein Geld als Produzent und Studiomusiker. „Momentan sind wir noch auf dem Trockendock und versuchen, Wasser unter den Kiel zu kriegen“, sagt Blair. „Dann lassen wir das Boot zu Wasser und hoffen, dass es uns über den Ozean trägt.“

Der Wind scheint günstig zu stehen, der Hype macht noch keine Anstalten abzuebben. „Ja“, sagt Blair, „man kann den Eindruck gewinnen, dass die Sache ziemlich groß werden könnte. Es ist aufregend, aber es gibt keine Garantien.“ Deshalb wollen sie es vorsichtig angehen. Erst einmal diese EP, der eine oder andere Song fürs Internet, immer weiter fleißig auftreten natürlich. „Schritt für Schritt“, sagt Blair.

Für das Album, von dem sie die Basistracks bereits eingespielt, aber noch nicht abgemischt und fertiggestellt haben, gibt es noch keinen Veröffentlichungstermin. Und auch ein Poster, so eines wie das von Madonna, das damals im Plattenladen in Irland hing, haben Ballet School noch nicht drucken lassen. Nicht mehr nötig in Zeiten des Internets, sagt Rosie Blair, „vor Konzerten verteilen wir nur ein paar Flyer“.

■ Ballet School: „Boys Again“ (Bella Union/Pias Cooperative)

■ live: 31. 10., 22 Uhr, Café Luzia Oranienstr. 34, Kreuzberg.

19. 11., Magnet, Kreuzberg