Politiker sind eben teuer

Der Publizist Alexander Stille beschreibt schlüssig und umfassend die Karriere Silvio Berlusconis. Seine Kritik wirkt unaufgeregt, ist aber vernichtend

VON RALPH BOLLMANN

Die Qualität einer Biografie lässt sich oft daran ablesen, ob sie nach einem Umbruch im Leben des Porträtierten noch taugt. Das jüngste Buch über Italiens scheidenden Premier Silvio Berlusconi besteht diesen Test spielend. Denn wer Alexander Stilles „Citizen Berlusconi“ gelesen hat, der weiß: Mit dem Unternehmer-Politiker ist auch nach seiner Wahlniederlage zu rechnen.

Stille beschreibt eindrücklich dessen „extreme Skrupellosigkeit“ und zeigt, wie schwer sich die italienische Linke stets mit entschiedenen Maßnahmen gegen die Interessenkonflikte des Medienmagnaten tat. Berlusconi ist für Stille „eine Art Citizen Kane im Anabolika-Format“, gegen den sich selbst der politisch ambitionierte US-Mogul William Randolph Hearst (1863–1951) schmächtig ausnehme.

Dabei hat Stille, anders als solche Vergleiche vielleicht nahe legen, keineswegs eine eifernde Anklageschrift verfasst. Im Gegenteil. Er versucht, Berlusconis Aufstieg aus dem Kontext der besonderen italienischen Verhältnisse heraus zu erklären. Er liefert zwar keine Fakten, die bislang unbekannt gewesen wären. Aber er arrangiert das bekannte Material in einer bisher nicht bekannten Weise zu einem umfassenden und schlüssigen Tableau. Das negative Gesamturteil, das am Ende dann doch zwangsläufig herauskommt, fällt umso überzeugender aus.

Beispiel Mafia-Verbindungen. Dass ein Unternehmer im Italien der Siebzigerjahre um Kontakte mit der organisierten Kriminalität nicht herumkam, gesteht Stille sogar zu. Aber er stellt dann eben auch fest, „dass nur eine kleine und schäbige Minderheit dieser Wirtschaftsführer richtiggehende Geschäfte mit der Mafia machte“. Skrupellose Leute wie Berlusconi eben, dessen Startkapital allem Anschein nach aus mafiösen Quellen stammte.

Dann das Privatfernsehen. Stille bleibt nicht bei wohlfeiler Empörung über angebliche Volksverdummung stehen. Nein, ausführlich beschreibt er den modernisierenden Effekt, den die grellen Kanäle Berlusconis in einem vergleichsweise rückständigen und von katholischen Moralvorstellungen beherrschten Land zunächst hatten. Einem Land, in dem Deowerbung verboten war, weil das Thema Körpergeruch als anstößig galt.

Auch die Verklärung der korrupten Parteienherrschaft im italienischen Ancien Régime, die angesichts der trüben Gegenwart in Mode gekommen ist, teilt Stille nicht. In den schillerndsten Farben beschreibt er Berlusconis Beziehungen zum früheren sozialistischen Premier Bettino Craxi, deren Bedeutung für den Aufstieg des Mailänder Unternehmers kaum zu überschätzen war, auch wenn Berlusconis Finanzverwalter über die Mühen, Craxi bei Laune zu halten, bisweilen stöhnte: „Politiker sind teuer.“

Was Berlusconi ohne solch eine politische Protektion ausrichten konnte, noch dazu in einem Land mit funktionierender Justiz, das führt Stille anhand von Berlusconis Engagement im Nachbarland Frankreich vor. Von dort musste sich der Italiener mit herben finanziellen Verlusten wieder zurückziehen. Eben weil die politische Protektion für ihn so wichtig war, gab es nach dem Zusammenbruch des Craxi-Systems für Berlusconi keine Alternative zum Einstieg in die Politik, den er sich damals auch ohne weiteres zutraute: „Ich habe einen Höherwertigkeitskomplex.“

Fragt sich nur, warum auch zwölf Jahre später noch immer die knappe Hälfte der italienischen Wählerschaft an diese Höherwertigkeit glaubt. Stilles Antwort ist nicht neu, aber nach wie vor überzeugend. Er beschreibt den „amoralischen Familismus“ der italienischen Gesellschaft, der das Eigeninteresse stets über das Gemeinwohl stellt.

Nach all den Skandalgeschichten der letzten Jahrzehnte glaubt eine Mehrheit der Wählerschaft, ohnehin hätten alle Politiker Dreck am Stecken. Dann kann man auch bedenkenlos für den Kandidaten stimmen, dessen Schlitzohrigkeit mit dem Eigeninteresse an geduldeter Steuerhinterziehung am besten harmoniert – zumal wenn man selbst zu dem runden Drittel der Selbstständigen unter Italiens Berufstätigen gehört, der Gruppe, die von derlei Steuertricks am meisten profitiert.

Alles nur ein italienisches Phänomen, das sich allein mit den Skurrilitäten der politischen Kultur auf der Halbinsel erklären lässt? Mitnichten, glaubt Stille. Rechte Politiker, die in einfacher Sprache an Familie und Patriotismus appellieren, während die politische Linke als Vereinigung abgehobener Intellektueller erscheint – dieses Phänomen, schreibt Stille, sei in allen westlichen Ländern auf dem Vormarsch.

Hinzu komme in Zeiten des Privatfernsehens überall eine „Balkanisierung“ der Medienlandschaft: Tatsachen gelten nichts mehr, eine gemeinsame Öffentlichkeit gibt es ohnehin nicht mehr, an ihre Stelle treten nur mehr Teilwahrheiten. Bis am Ende selbst ein Wahlergebnis nicht mehr als Faktum gilt, sondern als Frage der Interpretation.

Alexander Stille: „Citizen Berlusconi“. Aus dem Englischen von Karl-Heinz Siber. C. H. Beck, München 2006, 382 Seiten, 24,90 Euro