: Wie es sich für einen Star gehört
SCHÖNER ALTERN Von Andre Williams lernen heißt effektives und amüsantes Angeben lernen: Der Mann aus Bessemer/Alabama im Bassy
Wahrscheinlich ist „Let me put it in!“ einfach nur ein bisschen weniger euphemistisch als „Graue Schläfen schützen nicht vor schönen Beinen“. Gegen Jopi, den ältesten Lackaffen der Welt, ist Andre Williams ohnehin ein Küken, wenn auch ein sehr dreckiges: Williams wird am 1. November 74 Jahre alt, und das mit den Beinen und den Schläfen ist immer noch sein Thema.
Im Bassy kam er am Dienstag erst auf die Bühne, als seine agile Begleitband das Publikum warm gespielt hatte, typisch für ihn. Der Mann aus Bessemer in „Deep South“ Alabama spielt und tourt seit Jahren nur noch mit wechselnden jungen Musikern aus einer Riesenfangemeinde. Man freut sich allerorten, dass mit Williams tatsächlich noch einer aus der ersten Bluesgarde lebt. Seit den 50ern liefert er seine zerstörten R-’n’-B-Kapriziosen ab, 1963 schrieb er für Motown Ike & Tina Turners Hit „Shake your tailfeather“, veröffentlichte später auf dem Chess Label Platten und ging in den 80ern und 90ern fast an Drogen und Suff zugrunde.
Merkwürdiger Plauderton
Angeblich hatte ihn der Blues-Avantgardist Jon Spencer in den 90ern unter einer Brücke weggeholt, ihn in sein Vorprogramm gesteckt und ihm damit das Leben gerettet. US-Musiker wissen eben, mit wessen Roots sie sich schmücken: Das 1957 entstandene „Jail Bait“ soll Keith Richards’ Lieblingsstück sein. Zusammen mit dem groovy vor sich hinplätschernden und von einer extrem laid-back gespielten Saxofonlinie getragenen „Bacon Fat“ gehört es zu den beiden größten, von Williams selbst in seinem merkwürdigen Plauderton interpretierten Hits. Die William’sche Attitude des expliziten Dirty Talking, die Selbstinszenierung als Sleazy Old Man, dessen Vorliebe für minderjährige Mädchen ihn sogar ins Gefängnis bringt – in „Jail Bait“ fleht ein straffälliger Grapscher den Richter an, ihn wieder gehen zu lassen, er werde auch ganz bestimmt die Finger von den 16-Jährigen lassen – haben die Rolling Stones im „Stray Cat Blues“ wiederholt.
Im Bassy spielte Williams „Jail Bait“ als Zugabe, vor einem mitgrölenden Publikum, das vorher auch schon „Let me put it in“ genau wie „Mustang Sally“ feierte. Das zeitweise Abrutschen des Sleaze Rock und Dirty Soul in eine Art Pub Rock wurde dem Musiker wohlwollend von seinen Fans verziehen.
Seine Songs aus den 50ern, die filigraner waren und ihm den Beinamen „Mr. Rhythm“ verpassten, sind eben nicht ganz so liveaffin, wie die späteren Kracher mit eindeutigen Gitarrenriffs, auf die sich leicht feiern und die Arme schwenken lässt. Inzwischen sieht man dem alten Mann jedenfalls an, dass er nach dem Konzert vielleicht doch eher ins Bett steigt und nicht mehr mit fünf 20-jährigen Mäusen ins Jacuzzi.
Aber schick genug dazu wäre er gewesen: Das goldrote Jackett sah aus wie die ornamentale Textiltapete im Flur einer russischen Botschaft, die Hose glänzte im gleichen Rot wie Hut, Schuhe und Einstecktuch – von Williams lernen heißt effektives und amüsantes Angeben lernen.
Wenn sich einem vor zehn Jahren, als Williams ebenfalls mit einer europäischen Begleitband durch die Clubs tourte, angesichts des albernen Sexgeprotzes noch die Fußnägel hochrollten, so freute man sich heute einfach nur darüber, dass man so alt und noch so gut beinand sein kann.
Sein Bassy-Vorprogramm, die irre One-Man-Rockabillyband Bloodshot Bill und sein Kumpel, die kanadastämmige Garagenpunkgranate King Khan, geleiteten den dünnen alten Mann nach dem Konzert von der Bühne, wie es sich für einen Star gehört. Und die Geschichten über Williams, weiße Pulver und blaue Pillen sollte man einfach ins Reich der schmutzigen Phantasien verbannen. JENNI ZYLKA