: „Die Silhouette der Frau ist wichtig“
Die Versorgung mit Brustprothesen hat sich verbessert. Die Modelle sind vielfältiger und natürlicher geworden
Hedda Jahn pappt mir eine haftende Brustprothese auf den Handrücken. Ich drehe die Hand, schüttele den Arm. Hält bombig. Nur durch starkes Ziehen lösen sich die kleinen Silikonnoppen wieder von der Haut. So muss es sein. Schließlich soll die Trägerin ihre Brustprothese nicht verlieren. „Die sitzen ganz knackig“, sagt die Verkäuferin im I.K.O. Sanitätshaus Berlin. „Frauen, die eine Haftprothese tragen, sind sehr zufrieden damit. Das Gewicht verteilt sich besser auf Körper und BH. Sie gewinnen an Lebensqualität.“
Noch vor zehn Jahren konnten Frauen von solchen Entwicklungen nur träumen. Wer Brustkrebs bekam und sich einer Amputation unterziehen musste, konnte nur zwischen wenigen Ersatzmodellen wählen. Inzwischen fertigen Hersteller eine breite Palette von Silikonbrüsten unterschiedlicher Größe, Form, Feste und Schwere, die sich möglichst perfekt an die Rundung des Brustkorbs anschmiegen und Bewegungen genauso mitmachen sollen wie die eigene Brust: Sie wippen beim Laufen und werden beim Liegen flacher.
Bitterer Beigeschmack: Das gewachsene Angebot trägt der steigenden Nachfrage Rechnung. Jedes Jahr erkranken rund 47.500 Frauen in Deutschland neu an Brustkrebs. Seit einigen Jahren sinkt die Zahl der Sterbefälle; 2003 waren es laut Statistischem Bundesamt 17.100 Menschen. Frühzeitig erkannt, ist ein Mammakarzinom mittlerweile gut behandelbar. Vorrangiges Ziel ist dabei, die Brust zu erhalten. „Das gelingt heute in 70 bis 80 Prozent der Fälle“, berichtet Juliane Gissler, Oberärztin am Vivantes-Zentrum für Brusterkrankungen. Bisweilen verkleinert sich die Brust aber. Eine Teilprothese kann dann einen optischen Ausgleich schaffen. „Viele Frauen wissen allerdings gar nicht, dass sie darauf einen Kassenanspruch haben“, beobachtet Jahn. Eine Vollprothese soll nicht nur für einen harmonischen äußeren Eindruck sorgen, sie gleicht auch das fehlende Gewicht der amputierten Brust aus und beugt so Rückenproblemen vor – sei es auch nur, bis die Operationsnarbe verheilt und ein Brustaufbau möglich ist.
„Nach einer Brustkrebs-OP ist jede Frau zunächst einmal froh, dass sie den Tumor überlebt hat. Erst später stellen sich Fragen nach dem Aussehen“, weiß Jahn aus Erfahrung. Sie geht regelmäßig in Krankenhäuser, berät und versorgt Brustkrebspatientinnen. „Zunächst erhält die Frau einen Erstversorgungs-BH, dessen Taschen von der Seite mit künstlicher Watte gefüllt werden. Sie ist ganz weich, damit nichts auf die Wunde drückt.“ Einige Wochen später kann die Frau an die nächsten Schritte denken und sich an ein Sanitätshaus wenden. Jahn: „Am besten vereinbart sie einen Termin, damit genügend Zeit für ein ungestörtes Gespräch ist.“
Spezialisierte Sanitätsgeschäfte haben in der Regel ein gesondertes Beratungszimmer. Im Brustepithesenzentrum des I.K.O-Sanitätshauses werden Kundinnen in ein kleines Zimmer hinter dem Verkaufsraum geführt. Wie in einem Schuhlager stapeln sich kleine Kartons an einer Wand, bloß enthalten sie keine Pumps, sondern Prothesen. Ein Tisch mit Blumen und Keksen, Stühle, ein Spiegel und eine Stellwand, hinter der Frauen sich freimachen können. Nachdem die Verkäuferin die verbliebene Brust in Augenschein genommen hat, beginnt die Suche nach einem passenden Gegenstück. Was gefällt der Kundin? Was sieht gut aus? „Die Silhouette ist wichtig“, urteilt Jahn.
Die Kosten für die Prothese trägt die Krankenkasse, ebenso wie für eine leichte Schwimmprothese und einen Badeanzug. Für zwei BHs pro Jahr zahlen Versicherungen lediglich einen Zuschuss, der von Kasse zu Kasse schwankt. Diese Büstenhalter unterscheiden sich von normalen durch Taschen für die Prothesen, einen höheren Steg und breite, entlastende Träger. Den meisten Modellen ist ihre spezielle Funktion gar nicht anzusehen. „Es gibt zum Beispiel ganz verträumte BHs mit Spitze in der Mitte“, sagt Jahn. „Sie kaschieren gut tiefe Operationsschnitte oder Hautveränderungen nach einer Strahlentherapie.“
Die Versorgung mit Prothesen sei heute kein Riesenproblem mehr, befindet Ilona Ulmer von Mamazone, einer Selbsthilfeorganisation von Frauen mit Brustkrebs. „Es hat sich viel getan, und die Frauen sind selbstbewusster geworden.“ Leider sei es aber immer noch so, dass Patientinnen sich sehr kümmern müssten, um die Leistungen zu erhalten, die ihnen zustehen. Ulmer rät Betroffenen, bei ihrer Krankenkasse anzurufen und sich ihre Ansprüche sehr genau erklären zu lassen. MARTINA JANNING