: Verdächtiger Körpersaft
DAILY DOPE Rennradler Pellizotti, dessen Blutwerte allzu auffällig waren, präsentiert sich als Unschuldslamm
BERLIN/MAILAND taz | Der Mensch ist nur bedingt lernfähig. Das Ausmaß des kognitiven Zugewinns scheint bei Männern, die viel Geld mit dem Treten von Pedalen verdienen, besonders gering ausgeprägt zu sein. Nachdem im Frühjahr dem Schweizer Thomas Frei nachgewiesen wurde, dass er die Mikrodosen Epo doch nicht so im Griff hat, wie er dies glaubte, der Armstrong-Stallgefährte Fuyu Li mit dem Wehenhemmer Clenbuterol (verzögert auch den Muskelabbau) und der Italiener Mattia Gavazzi mit der Party- und Bilanzfälschungsdurchstehdroge Kokain erwischt wurde, trifft es kurz vor Beginn des Giro d’Italia einen Großen der Branche: Franco Pellizotti, Bergkönig der letzten Tour de France und Zweiter des Giro d’Italia 2009 ist den Analysten des Weltradsportverbands UCI wegen ungewöhnlicher Blutwerte aufgefallen. Bei einer Kontrolle im November 2008 war sein Retikulozytenwert auffällig, im Juli 2009, kurz vor der Tour de France, sein Hämoglobin.
Bei der letzten Frankreichrundfahrt holte sich Pellizotti nicht nur die meisten Zähler für das gepunktete Trikot, der Typ mit den blonden Locken und dem kleinen Bärtchen, das das Wachsen des Kinns nur unvollkommen kaschierte, wurde außerdem zum aktivsten Fahrer gekürt. Diese Performance muss nun mit dem üblichen Sternchen für unerlaubte Apothekenbenutzung versehen werden.
Pellizotti ist gegenwärtig suspendiert. Pellizottis Team Liquigas verteidigt indes seinen Spitzenmann. „Zum gegenwärtigen Zeitpunkt scheinen die vorgelegten Beweise nicht mit Gewissheit ein unsportliches Verhalten des Athleten zu zeigen“, heißt es auf der Website des Rennstalls. Pellizottis Chefs bekräftigten, sich „juristisch gegen jede Beschädigung des eigenen Images zur Wehr zu setzen, sei es gegenüber dem Athleten, sei es gegenüber den Institutionen, die diesen Schaden verursacht haben“.
Bei so viel Flankenschutz geht der mutmaßliche Sünder selbst zum Angriff über. „Ich bin unglaublich sauer. Kurz dem Giro, dem für mich wichtigsten Rennen, werde ich ohne jedwede positive Probe ausgeschlossen. Die Werte sind zudem in dem von der UCI akzeptierten Bereich“, tönte er am Dienstag auf einer Pressekonferenz in Mailand.
Pellizotti unterschlägt bei seiner Tirade, dass ihn die UCI bereits Anfang März über die Verdachtsmomente informiert hatte. Genug Zeit für eine Gegenstrategie hat er gehabt. Beim individuellen Blutmonitoring gelten ohnehin nicht mehr allgemeine Grenzwerte, sondern der spezielle Verlauf. Eine seltene Krankheit, die die Parameter erklären könnte, hat er bislang nicht präsentiert. Dies ist bislang der einzige signifikante Unterschied zur Pechstein-Strategie. Aber Pellizotti hat ja auch zwei unterschiedliche Parameter unter einen Krankheitshut zu bringen.
Der 32-Jährige ist der erste Radprofi, der die Blutpass-Technologie der UCI frontal attackiert. Bisher gab es fünf Verfahren dieser Art. Davon waren unter anderen der frühere Milram-Fahrer Igor Astarloa und der Ex-Gerolsteiner-Mann Francesco De Bonis betroffen. Gleichzeitig mit Pellizotti wurden auch Tadej Valjavec (Ag2r) und der Spanier Jesus Rodendo wegen verdächtiger Werte suspendiert. Der Slowene Valjavec will schon eine Krankheit gefunden haben, die zu den auffälligen Blutwerten geführt haben soll. TOM MUSTROPH