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Archiv-Artikel

„Wir haben kritische Monate vor uns“

Die radikalislamische Regierung in den palästinensischen Gebieten muss mit den internationalen Geldgebern eine Einigung finden. Andernfalls droht die wachsende Armut zu Gewaltakten zu führen, sagt Direktor Daoud Kuttab

taz: Herr Kuttab, in Israel wird in diesen Tagen eine neue Regierung formiert, die von Teilen Westjordanlands abziehen und dann einseitig die Grenzen festlegen will. Beunruhigt Sie das?

Daoud Kuttab: Die Israelis sollten sehr ernsthaft versuchen, eine bilaterale Lösung anzustreben. Das ist möglich, denn Verhandlungspartner ist nicht die palästinensische Regierung, sondern der Präsident. Bei allen früheren Verhandlungen standen sich Israel und die PLO gegenüber. Daran muss sich nichts ändern.

Sie schreiben, dass eine Regierung, die wiedergewählt werden möchte, die Bedürfnisse des eigenen Volkes vor die Forderungen der internationalen Gemeinschaft stellen muss. Lässt sich das im palästinensischen Fall trennen?

Was das Volk braucht, ist Geld. Die Regierung sollte alles daransetzen, eine Einigung mit der internationalen Gemeinschaft zu erreichen. Das ändert an meinen Prioritäten nichts.

Hätte die neue radikalislamische Hamas-Regierung den jüngsten Selbstmordanschlag schärfer verurteilen sollen?

Natürlich brauchen die Palästinenser eine Regierung, die verstehen muss, wie wichtig es ist, in Frieden mit unseren Nachbarn zu leben. So wie wir von Israel fordern, die Exekutionen einzustellen, muss unsere Regierung der Gewalt auf palästinensischer Seite ein Ende machen.

Kritische Stimmen geben der Hamas-Regierung eine Überlebenschance von höchstens drei Monaten. Teilen Sie diese Ansicht?

Ich stimme zu, dass wir drei kritische Monate vor uns haben, um unsere finanziellen Probleme zu lösen.

Wer könnte an die Stelle der bisherigen Spendernationen und Israels treten?

Es geht nicht nur darum, neue finanzielle Quellen aufzutun. Wir haben zusätzlich das Problem, das Geld hierher zu transferieren. Die Regierung ist sich durchaus darüber im Klaren. Der Premierminister Ismail Hanijeh hat gerade wieder erklärt, dass es einen politischen Preis zu zahlen gebe und dass er bereit dazu sei. Die Befürchtung der Regierung ist, dass jeder politische Kompromiss zu weiteren Forderungen führen wird und der Appetit der Israelis noch wachsen wird. Was die Regierung jetzt versucht, ist eine Einigung zu erreichen, mit einem Quidproquo. Beide Seiten müssen aufeinander zugehen.

Was würde passieren, wenn die Hamas-Regierung versagt?

Die Hamas hat eine klare Mehrheit im Parlament, sodass der einzige Weg Neuwahlen wären, es sei denn, die Hamas und die Fatah von Präsident Abbas einigen sich auf eine große Koalition.

Die Fatah hatte das bisher abgelehnt. Glauben Sie, dass das ein Fehler war?

Nein, die Hamas war nicht bereit zu Zugeständnissen hinsichtlich ihres politischen Programms. Aber wenn es eine Bereitschaft gäbe, sich aufeinander zuzubewegen, wäre die Fatah mehr als glücklich, der Regierung beizutreten.

Die Fatah scheint nach der Wahlniederlage im Januar am Ende zu sein. Gibt es eine Strategie der Bewegung, sich neu zu formieren?

Der 6. Parteikongress ist für Sommer/Herbst geplant. Ich glaube nicht, dass vor dem Kongress mit entscheidenden Veränderungen in der Bewegung zu rechnen ist.

Es gibt Gerüchte über den Versuch der Fatah, eine Schattenregierung zu formieren. Was halten Sie davon?

Die Idee war, eine Schattenregierung unter der Schirmherrschaft des Präsidenten zu errichten. Das war eine fehlerhafte Idee, die inzwischen verworfen wurde.

Die Hamas will der Korruption ein Ende machen und den Rechtsstaat stärken. Wie schätzen Sie die Erfolgschancen der Regierung ein?

Allein aufgrund der Tatsache, dass es eine sehr machtvolle Opposition gibt, die die Regierung aufmerksam beobachten wird, stehen die Chancen gut. Die Rotation der Macht ist der beste Trumpf im Kampf gegen die Korruption. Wie wir alle wissen, ist die Regierung derzeit mit der akuten finanziellen Krise beschäftigt. Sobald dieses Problem gelöst ist, kann sie sich ihrer eigentlichen Aufgabe widmen.

Um den Rechtsstaat zu festigen, müssen zuallererst die illegalen Waffen konfisziert werden. Ist die Regierung dazu in der Lage?

Es gibt derzeit Anstrengungen, die militanten Kräfte in den Sicherheitsapparat zu integrieren.

Welche Folgen kann die zunehmende Armut haben?

Es gibt verschiedene Perspektiven. Die Frustration über die Armut kann sich in Form von Gewalt gegen Israel oder auch in Form von interner Gewalt Luft machen. Wir sind in einer sehr schwierigen Situation, die einer raschen und behutsamen Lösung bedarf.

Die Hamas ist durch demokratische Wahlen an die Macht gekommen, gleichzeitig aber nicht unbedingt eine Bewegung, die Demokratie praktiziert. Glauben Sie, dass unter der neuen Regierung die Informationsfreiheit bedroht ist?

Nach zwei Monaten muss ich sagen, dass insgesamt keine der bisherigen Regierungen ein so großes Maß an Toleranz gegenüber anderen Meinungen gezeigt hat wie die aktuelle. Die palästinensischen Medien spielen heute eine größere Rolle bei dem öffentlichen Meinungsbildungsprozess. Im Moment sieht es gut aus, wobei wir die warnenden Signale nicht ignorieren sollten.

INTERVIEW: SUSANNE KNAUL