LESERINNENBRIEFE : Flucht, Frontex, Farbenlehre
DIE NOT DER ANDEREN Menschen suchen Sicherheit und ertrinken oder stranden dabei in Lagern Europas. Wer ist verantwortlich? Müssen die Grenzen noch enger gezogen werden? Und: Mit welchen Begriffen belegen wir die Diskriminierten dunkler Hautfarbe
Weißeuropäer
■ betr.: „Razzia gegen Schwarze – Polizei begehrt auf“, taz vom 14. 10. 13
Bedauerlicherweise ist der Artikel voll mit rassistischen Bezeichnungen für People of Colour. Der Autor dieses Artikels bedient sich uralter, kolonialistischer Stereotype, die das Konzept haben, die Welt in Schwarz und Weiß zu teilen. In vielen Medienhäusern wird das Wort „Schwarzafrikaner“ häufig in Verbindung mit Kriminalität genannt. Mir scheint, die Hautfarbe der betitelten Menschen hat keine Relevanz in dem geschilderten Sachverhalt. Schließlich spielte die Hautfarbe der Polizist_innen ja auch keine Rolle.
Sie müssen doch eigentlich wissen, dass solche Betitelungen absolut nicht mehr zeitgemäß sind.
Falls Sie es trotzdem für angebracht halten, weiterhin solche Wörter zu verwenden, so nehmen Sie doch aber bitte noch „Weißeuropäer“ mit auf. Vielleicht bei dem nächsten Artikel über den NSU-Prozess.
Verstehen Sie mich nicht falsch, ich finde Ihren Artikel im Kern gut und kann verstehen, dass solch ein, für die Polizei ungewöhnlich und diametral zur allgemeinen Polizeilinie verlaufendes Verhalten einen Artikel wert ist. Doch bitte achten Sie in Zukunft darauf, in ihrer Zeitung rassistische Wörter und Aussagen zu vermeiden. PAUL ESSER, Berlin
Global bewegen
■ betr.: „Politik ist schuld an der Eskalation“, taz.de vom 16. 10. 13
Eine realistische Einwanderungspolitik wird sicher so aussehen, dass die Abschottungspolitik einem offeneren Marktzugang weichen wird. In einer Welt, in der Produkte, Dienstleistungen und Investitionen global bewegt werden, ist es völlig anachronistisch, dass Menschen sich nicht auch global bewegen dürfen.
Asylantenpolitik betrifft dabei nur den Teilbereich der Menschen, die wegen unmittelbarer Bedrohung aus ihrer Heimat fliehen. Diese Menschen, aber auch diejenigen, die auswandern möchten, weil sie in einem anderen Land ihre Arbeitskraft anbieten wollen, haben Anspruch darauf, sich andernorts niederzulassen und zu arbeiten. Durch ihre Anwesenheit allein schaffen sie zusätzliche wirtschaftliche Nachfrage und tragen durch ihre Arbeit zur Finanzierung des Sozialstaates bei.
Die Befürchtungen, dass mehr Migranten Europa aus den Fugen bringen würde, entbehren daher bei genauerer Betrachtung jeder Grundlage. BOULEAZERO, taz.de
DDR-Flucht
■ betr.: „Der Notarzt ist da“, taz.de vom 15. 10. 13
Genau wie die Flüchtlinge am Oranienplatz durch deren Protestcamp – als „politisches Mahnmal“ – weisen auch die Flüchtlinge durch deren Hungerstreik am Brandenburger Tor uns zu Recht darauf hin, dass das Asyl- und Flüchtlingssystem in Deutschland (durch Asylverfahrensgesetz, Ausländergesetz, Aufenthaltsgesetz) unvereinbar ist mit mehreren Grundrechten unserer Verfassung (dem Grundgesetz) und einigen Gesetzen der EU (Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Genfer Flüchtlingskonvention, Dublin II), wo Asyl- und Flüchtlingsrecht verankert sind. Sie appellieren dabei an unsere Geschichte, als unsere Brüder und Schwestern – damals noch als Flüchtlinge – aus der ehemaligen DDR zu uns flohen. STEFAN MUSTERMANN, taz.de
Klare Worte
■ betr.: „Das Entsetzen ist zynisch“, taz vom 14. 10. 13
Endlich klare Worte über die Mitverantwortung von Regierungen in Afrika für das Schicksal ihrer Staatsbürger. Ich hatte bei der taz schon länger den Eindruck, als liefe der Hase immer in die Richtung, „wir“ seien die alleinig Schuldigen an der Misere und Europa müsse nur die Tore öffnen, dann werde alles gut.
Die Gründe, warum sich Menschen auf den gefährlichen und kostspieligen Weg nach Europa machen, sind vielfältig. Nicht alle sind Flüchtlinge, die sich vor politischer Verfolgung, Krieg und Terror in Sicherheit bringen, und erst Recht sind es nicht die Ärmsten der Armen (siehe auch die taz vom 11. 10. 13).
Es sind überwiegend junge Männer, die emigrieren wollen, weil sie für sich in der Heimat keine Perspektive sehen. Warum?
Dem nachzugehen, würde sich lohnen. Denn auch hier gilt: Ohne eine gründliche Diagnose keine wirksame Therapie. BRIGITTE REINHARDT, Bad Honnef
Heiße Luft
■ betr.: „Razzia gegen Schwarze – Polizei begehrt auf“, taz vom 14. 10. 13
In Hamburg führt der SPD-Innensenator Michael Neumann Razzien gegen Schwarze durch, „Operation Lampedusa“ genannt, gleichzeitig kritisiert sein Parteikollege und SPD-Landesvorsitzender aus Schleswig-Holstein, Ralf Stegner, zu Recht die menschenverachtenden Äußerungen des Bundesinnenministers Hans-Peter Friedrichs zu dem Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen, rumänischen Migrant_innen Sozialleistungen zu gewähren.
Ich hoffe sehr, Herr Stegner hat seine Kritik wortgetreu auch an seinen Parteikollegen Neumann weitergeleitet und ihn aufgefordert, diese menschenunwürdigen, grundgesetzwidrigen Razzien gegen alle Flüchtlinge unverzüglich einzustellen.
Wenn nicht, ist die berechtigte Kritik an Innenminister Friedrichs nichts anderes als heiße Luft!
KATHY CZAJA, Düsseldorf
Die Mauern erhöht
■ betr.: „Massengrab im Mittelmeer“, taz vom 14. 10. 13
Die Politik der Menschenverachtung der EU macht angesichts der Doppelzüngigkeit sprachlos. Man spricht von „humanitären Militäreinsätzen“, verschärfter Küstenüberwachung durch Eurosur und Frontex, um Seenotrettung zu verbessern, wobei es nicht im Geringsten um Lebensrettung, sondern Abschreckung und Verhinderung der Einwanderung geht. Die einzige Antwort auf ein Massensterben an den Mauern der Festung Europa, die den Politikern der EU einfällt, ist das Erhöhen eben dieser Mauern. Nur 1,5 Prozent der Asylantragsteller in Deutschland werden laut UNHCR anerkannt! Und das in einem derart reichen Land. Von den 728.500 Flüchtlingen aus Syrien im Jahr 2012 sind 500.000 im Nachbarland Jordanien, einem Land mit ganz anderen Voraussetzungen als die meisten europäischen Staaten. Wie kann es da sein, dass lächerliche 52 Syrer in deutschen Unterkünften auch noch mit Brandsätzen begrüßt werden?
Und das, wo man sich das Elend in vielen Entwicklungsländern und immer mehr auch innerhalb des eigenen Landes und der EU in großem Stil selbst zuschreiben darf! LAURIN BERGER, Witzenhausen
Wir lassen sie ersaufen
■ betr.: „Das Entsetzen ist zynisch“, taz vom 14. 10. 13
Dominic Johnson hat ganz recht – aber mit Papieren und dem Einsatz nationaler afrikanischer Botschafter in Deutschland ist es nicht getan. Zynisch ist vielmehr unsere Form der subventionierten, also regierungsgewollten Wirtschaftsweise gegenüber Afrika und unsere Politik gegenüber den Staaten im arabischen und nordafrikanischen Raum. Unsere exportorientierte Agrarwirtschaft zerstört mit ihren subventionierten Preisen die örtliche Produktion und Vermarktung von Nahrungsmitteln in Afrika, die EU-Fischereistaaten haben, vertraglich mit zweifelhaften Regierungen abgesichert, die lokalen Fischgründe rund um Afrika leer gefischt und die Lebensgrundlage der lokalen Bevölkerung wie der Fischer weitgehend vernichtet; was wunder, dass die ihre Boote nutzen, Flüchtlinge nach Europa zu bringen, um doch noch etwas im Geschäft zu bleiben. Wir freuen uns, wenn die Giftgasvorräte in Syrien abgebaut werden, zu deren Produktion unsere Industrie Beihilfe geleistet hat. Was tun wir für die Opfer des Bürgerkriegs in Syrien? Wir geben sie Schleppern in die Hände, wehren sie dank Frontex auf dem Wasser ab und lassen sie ersaufen. Christliche Nächstenliebe predigen, abendländische Kultur beschwören, Flüchtlinge einknasten und abschieben zu den südeuropäischen Anlandestaaten und ihren Inseln? Was für eine Heuchelei, Herr Barroso! Was für ein Zynismus, Herr Innenminister Friedrich! ERNST-FRIEDRICH HARMSEN, Berlin
Frontex ausbauen
■ betr.: „Die unsichtbare Mauer“, taz.de vom 17. 10. 13
Was schlägt der Autor denn vor zur Lösung der Probleme? Es geht hier weniger um Flüchtlinge als um Menschenschlepperei als neues Geschäftsmodell: Im britischen Gurdian stand, dass beim letzten Unglück in Lampedusa ein Tunesier von jedem Insassen 1.000 Euro kassiert hatte, also insgesamt 500.000 für das Boot. Die EU muss diese Überfahrten verhindern, dann sterben auch keine Menschen. Die Menschen müssen versorgt werden und danach sofort zurückgebracht werden, und zwar alle. Frontex muss ausgebaut und in die Lage versetzt werden, wirksam gegen die Überfahrten und Schlepper vorzugehen. URSULA, taz.de
Haussklaven
■ betr.: „Mit falschen Versprechen gelockt“, taz.de vom 18. 10. 13
Wenn die gesellschaftspolitische (christlich-sozialdemokratische) Administration – in der deutschen Reichtumsgesellschaft – nicht dazu bereit ist, für eine menschenwürdige und auskömmliche Bezahlung der Altenpflegekräfte (vor allem für auskömmlich bezahlte Frauen) und damit für eine menschenwürdige Altenpflege zu sorgen, dann besorgen sich vor allem die wohlhabenden und vermögenden Bürger und Angehörigen, ihre Haussklaven und Billigarbeitskräfte – auf dem osteuropäischen und asiatischen, südamerikanischen und afrikanischen – auf dem internationalen Menschen- und Arbeitskräftemarkt. WOLFGANG, taz.de