: Kreuzberg wird Paradebeispiel
Am 1. Mai bleibt es in Kreuzberg friedlich: Die Mayday-Parade ist mit über 4.000 Teilnehmern ein voller Erfolg. Auf dem Myfest feiern 10.000 Menschen – kaum gestört von einem Autonomen-Zug
Der Tanz ging früh los am 1. Mai – aber anders als in den Jahren zuvor. Die Mayday-Parade, die in diesem Jahr Berliner Premiere feierte, zog über 4.000 DemonstrantInnen an. Und sie war ein voller Erfolg. Der Protestzug wandte sich gegen prekäre Arbeitsbedingungen und trat „Für soziale Rechte weltweit“ ein, so das Motto. Sieben Paradewagen waren jeweils einem Schwerpunkt gewidmet, zum Beispiel der Flüchtlings- und Migrationspolitik. Die Trucks beschallten die Demo vom Spreewaldplatz über die Wiener Straße mit Techno oder Hiphop. Zum Abschluss luden die Initiatoren auf dem Hermannplatz zum Umsonst-Buffet samt Lachsschnittchen.
Tanz, Diskussion und Politik im Tausch gegen Randale. Der Tag der Arbeit verlief trotz krawalliger Zeitungsberichte bis Redaktionsschluss so, wie es sich die Anwohner erhofft hatten: friedlich. Dies galt auch für die Demo von 200 Autonomen, die spontan durch das Kreuzberger Kiezfest zogen – wie gewohnt mit roten Flaggen und schwarzen Kapuzen.
Nach ein paar Runden um die Blöcke löste sich die Demo ebenso spontan am Mariannenplatz wieder auf. Polizeipräsident Dieter Glietsch hoffte zu Recht, die „friedliche Entwicklung der vergangenen Jahre“ fortschreiben zu können. Er ließ sich in einem VW-Transporter durch den Bezirk kutschieren. Ein Großaufgebot von 5.500 Uniformierten stand meist untätig in der Sonne herum.
Rund um Oranien-, Mariannenplatz und Kottbusser Tor feierten weit über 10.000 BürgerInnen auf dem Myfest, das wie immer mit mehreren Bühnen lockte. Die entspannte Atmosphäre ließ Raum für Inhalte. Das Fest des Bezirksamtes sei mehr als eine unpolitische Kiezfete mit Bratwurstständen, findet Bezirksbürgermeisterin Cornelia Reinauer (Linkspartei): „Es ist gelungen, noch mehr Migrantenorganisationen einzubinden als in den Vorjahren.“ Dass der Türkische Bund und andere Verbände dabei seien, stärke den sozialen Zusammenhalt im Kiez, sagt Reinauer. „Es herrscht eine neue Wertschätzungskultur.“
Raum für Inhalte gab es auch andernorts: Auf der traditionellen Gewerkschaftsdemo des DGB in Mitte mit mehr als 10.000 Teilnehmern machte sich Ver.di-Chef Frank Bsirske für einen gesetzlichen Mindestlohn stark (siehe Text unten). Mindestlöhne seien ein wichtiger Beitrag, die Abwärtsspirale bei den Löhnen zu stoppen, so der DGB-Vorsitzende Dieter Scholz. Ebenfalls traditionell, aber wesentlich radikaler ist die „Revolutionäre 1. Mai-Demonstration“. Den Aufrufen maoistischer und kurdischer Organisationen waren 800 Menschen gefolgt. Sie durften nur bis zum Kottbusser Tor ziehen, um das Fest nicht zu stören.
Schon der Vorabend, der die Walpurgisnacht einläutete, fügte sich in das Bild allgemeiner Gelassenheit. Im Mauerpark tranken rund 800 Jugendliche ihr Bierchen aus Plastikbechern, die Polizei hatte Glasflaschen und Büchsen verboten – am Eingang musste unter behördlicher Anleitung umgefüllt werden. Die auf Erleuchtung bedachte Polizei hatte große Scheinwerfer am Rand aufgefahren, auch der Boxhagener Platz war mit behördlicher Energie hell ausgeleuchtet. Am späten Abend kam es zu kleineren Rangeleien. Die Polizei nahm 48 Jugendliche fest, die meisten, weil sie kleine Mengen Drogen dabeihatten. „Die ruhigste Walpurgisnacht seit Jahren“, so das Fazit des Polizeipräsidenten.
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