: Neandertaler ist ein Vorfahr
PALÄOANTHROPOLOGIE Ein Teil von uns ist doch ein Nachkomme des Neandertalers
VON BARBARA KERNECK
Nun ist es bewiesen: Neandertaler und die Vorfahren des modernen Homo sapiens hatten nicht nur Sex miteinander, sondern auch gemeinsame Nachkommen – und diese haben sich auch fortgepflanzt. So oft und dicht näherten sich die Wege der knollennasigen „Höhlenbewohner“ und der Vorfahren des modernen Menschen einander, dass Kontakte aller Art zwischen ihnen nie auszuschließen waren. Aber die Vererbung genetischer Merkmale von einer Gruppe in die andere hielten viele Wissenschaftler bisher für unmöglich.
Dass es dennoch dazu kam, belegt in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Science die Dokumentation einer über vier Jahre betriebenen Gen-Sequenzierung. Ein internationale Forschergruppe unter Leitung von Professor Svante Pääbo vom Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie verglich bei dieser wissenschaftlichen Tour de Force DNA-Proben aus etwa 40.000 Jahre alten Neandertaler-Knochen mit den Genomen von fünf unserer Zeitgenossen aus China, Frankreich, Papua-Neuguinea, Südafrika und Westafrika.
Das Neandertaler-Genom sequenzierten sie immerhin zu 70 Prozent. Ihr Schluss: Nicht Afrikaner, wohl aber Europäer, Asiaten und Papua-Neuguineaner tragen heute zwischen 2 und 4 Prozent Neandertaler-Erbgut in sich. Die Erklärung ist einfach: Homo sapiens und der Neandertaler haben beide ihre Ursprünge in Afrika. Die Neandertaler verließen diesen Kontinent lange vor den Jetztmenschen in Richtung auf Europa, Vorderasien und Südsibirien.
Jene unserer Vorfahren, die Afrika ebenfalls den Rücken kehrten, wandte sich zunächst dem Mittleren Osten zu. Vor etwa 100.000 bis 50.000 Jahren, noch bevor sie sich in Europa und Asien in verschiedene ethnische Gruppen aufspalteten, vermischten sie sich mit dort ansässigen Neandertalern. Vor 30.000 Jahren starben diese aus.
Das in Leipzig analysierte halbe Milligramm Knochenpulver stammt von Funden aus Kroatien, Spanien, Russland und auch von dem 1856 zuerst entdeckten Exemplar, dem im deutschen Neandertal an der Düssel gefundenen Skelett eines Mannes, der der Art ihren Namen gab. Er wies alle wesentlichen Merkmale seiner Gruppe auf: große Nase, fliehende Stirn, eine kräftige Kinnlade und starke Beine und Füße.
Anders als oft dargestellt gingen die Neandertaler aufrecht. Sie verfügten über eine weitgehende Arbeitsteilung zwischen verschiedenen Lagern, bemalten Schmuck aus Muscheln, behandelten ihre Verwundeten und begruben liebevoll ihre Nächsten. Das im Erbgut von Mensch und Neandertaler identische Gen Foxp2 gilt als entscheidend für die Sprachentwicklung.
Es sind aber die Unterschiede, denen das Hauptaugenmerk Pääbos und seines Teams auch weiterhin gelten wird. Sie wollen herausfinden, was dem modernen Menschen so große Überlebensvorteile einbrachte. Solche Unterschiede entdeckten sie bereits in Genen, die mit kognitiven Funktionen zusammenhängen, mit dem Stoffwechsel, der Entwicklung des Schädels oder Brustkorbs. Wie diese sich auswirkten, können die Wissenschaftler noch nicht sagen.
„Wir wissen nicht, ob der Neandertaler blaue Augen oder braune Haare hatte. Unsere Aussagen über seine Verwandtschaft mit uns heute entstammen erst mal reiner Statistik. Wir haben über das ganze Genom sozusagen erst mal drübergeschaut und festgestellt, da gibt es bei Europäern und Neandertalern mehr Ähnlichkeiten in den Sequenzen als unter Afrikanern und Neandertalern“, sagt Johannes Krause, Mitarbeiter im Pääbo-Team.
Ein Problem für die Forscher bildete die starke Verunreinigung der alten DNA mit dem Erbgut von Mikroben, Pilzen und sogar Archäologen. Die Forscher bearbeiteten die Proben in Reinsträumen, reparierten die eigentlichen Neandertaler-DNA-Sequenzen und markierten sie so, dass dies deren Kontaminierung mit fremdem Erbgut während der eigentlichen Sequenzierung ausschloss. Insgesamt werteten die Wissenschaftler 4 Milliarden DNA-Basenpaare aus.
Die Entwicklung neuer Sequenziermaschinen hat diesen Durchbruch ermöglicht. „Das menschliche Genom wurde um das Jahr 2000 weltweit in einigen tausend Labors entschlüsselt mit einer Technologie, die es erlaubte, 50 bis 1.000 DNA-Sequenzen mit einem Mal zu bestimmen“, sagt Johannes Krause: „Die Arbeit dauerte damals 13 Jahre und kostete 1,5 Milliarden Euro. Heute erbringen wir diese Leistung innerhalb einer Woche für 5.000 Euro.“