: „Wie 6.000 Windturbinen“
GROSSBRITANNIEN Erstmals seit fast 20 Jahren genehmigt die Regierung den Bau neuer AKWs
■ Im 2011 havarierten japanischen Atomkraftwerk Fukushima ist wieder radioaktiv verseuchtes Wasser freigesetzt worden. Nach schweren Unwettern überflutete Regenwasser die Sicherheitsbereiche rund um die 1.000 Tanks, in denen kontaminiertes Wasser lagert, teilte die Betreiberfirma Tepco am Montag mit. In den Tanks wird Wasser aufgefangen, das Tepco zur Kühlung der geschmolzenen Brennstäbe verwendet. (rtr)
VON RALF SOTSCHECK
DUBLIN taz | Großbritannien leistet sich ein neues Atomkraftwerk – das erste seit fast 20 Jahren. Die Regierung in London gab am Montag bekannt, dass man sich nach fast zweijährigen Verhandlungen mit dem französischen Energiekonzern EDF geeinigt habe: In Hinkley Point in der Grafschaft Somerset im Südwesten Englands werden zwei neue Druckwasser-Reaktoren gebaut, die 2023 ans Netz gehen sollen. Dort steht bereits eine Anlage: Hinkley Point B produziert rund 1 Prozent des britischen Stroms. Mit den neuen Reaktoren werden es 7 Prozent sein.
Allerdings ist der Vertrag noch nicht rechtlich bindend. EDF wird erst im nächsten Sommer endgültig über die Investition von 16 Milliarden Pfund entscheiden. Der langjährige EDF-Partner, die chinesische General Nuclear Power Group, will bei dem Projekt mit einem Anteil von 30 bis 40 Prozent einsteigen, möglicherweise gemeinsam mit Chinas National Nuclear Corporation.
Der britische Schatzkanzler George Osborne sagte, dass er sich die chinesischen Unternehmen bei weiteren Atomprojekten auch als Mehrheitsgesellschafter vorstellen könne. Bis 2030 sollen sieben weitere Atomkraftwerke gebaut werden, denn acht der neun laufenden Anlagen müssen bis 2023 aus Altersgründen abgeschaltet werden. Sie decken rund ein Fünftel des britischen Strombedarfs. Energieminister Ed Davey jubelte: „Zum ersten Mal wird ein Atomkraftwerk ohne Geld vom britischen Steuerzahler gebaut.“ Das stimmt freilich nicht: Die britische Regierung garantiert dem französisch-chinesischen Konsortium für 35 Jahre einen Preis von 92,50 Pfund pro Megawattstunde – plus Inflation. Das ist fast doppelt so viel wie der derzeitige Marktpreis.
Die Europäische Kommission muss dem Projekt grünes Licht geben: Staatliche Subventionen für Atomkraft sind eigentlich verboten. Paul Dorfman vom Energieinstitut am University College London sagte: „Das ist eine Subvention von schätzungsweise 800 Millionen bis einer Milliarde Pfund im Jahr, die britische Steuerzahler und Konsumenten in die tiefen Taschen der französischen und chinesischen Konzerne stecken müssen.“
Premierminister David Cameron argumentiert dagegen, dass beim Bau der Anlage 25.000 Arbeitsplätze sowie 900 feste Jobs für die AKW-Laufzeit von 60 Jahren geschaffen würden. Hinkley Point C werde so viel Elektrizität produzieren wie 6.000 Windturbinen. Mit Atomkraft werde jeder Haushalt ab 2030 um 77 Pfund weniger für den Strom zahlen als ohne, sagt der Premier.
Der Strompreis ist ein wichtiges Wahlkampfthema. Drei der sechs größten Stromanbieter haben vorige Woche Preiserhöhungen um fast 10 Prozent verkündet, die anderen werden folgen. Der Erzbischof von Canterbury, Justin Welby, sagte am Wochenende, er finde die neuesten Preissteigerungen unerklärlich. Diese Konzerne haben die Pflicht, sich moralisch zu verhalten und nicht nur ihren Profit zu maximieren, sagte er: „Sie haben die Kontrolle, denn sie verkaufen etwas, das jeder kaufen muss.“ Labour-Chef Ed Miliband, der den Strompreis für 20 Jahre einfrieren will, falls er die nächsten Wahlen gewinnt, unterstützt den Bau neuer Atomkraftwerke.