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Archiv-Artikel

„Wir sind hier keine Ökofreaks“

SHELL BEACH Erst dezimierte „Katrina“ ihr Dorf, jetzt folgt die Umweltkatastrophe. Die Fischer harren aus. Anstatt ihre Boote für die Krabbensaison vorzubereiten, warten sie, dass British Petroleum das Loch am Meeresboden stopft

Aussterben ganzer Arten

■ Pottwale, die südlich und östlich des Mississippideltas aufwachsen, sind laut Experten besonders bedroht. In den küstennahen Gewässern sammeln sich auch gern die Großen Tümmler. Der antreibende Schlick könne ganze Populationen dieser Delphinart zerstören, da diese nur aus mehreren Dutzend Tieren bestehen.

■ Eine ganze Generation von Schnapperfischen, Zackenbarschen und anderen Fischen könne ausgelöscht werden. Auch die Laichplätze des bei Freizeitanglern so beliebten Louisiana Redfish sind in Gefahr.

■ Das Mississippidelta ist ein beliebter Landeplatz für Vögel aller Art – Singvögel aus den Tropen, Wattvögel, Seevögel und Raubvögel. Auch der braune Pelikan, offizieller Vogel des US-Bundesstaates Louisiana, macht auf seiner Reise in wärmere Gefilde einen Zwischenstopp.

AUS SHELL BEACH, LOUISIANA DOROTHEA HAHN

Die Straße führt geradezu ins Wasser. Am Ende schwappen kleine Wellen gegen den Asphalt. Rechts sind Betonreste zu einem Haufen zusammengeschoben. Dazwischen steht ein schwarzer Stein, in den 165 Namen eingraviert sind: die örtlichen Toten des tropischen Sturms „Katrina“. Vor dem Stein liegen Plastikblumenkränze und metallisch glänzende Halsketten auf dem Boden. Dahinter ragt ein metallener Christuskopf mit Dornenkrone aus dem Wasser. Zwei braune Pelikane fliegen darüber hinweg. Ein Fisch macht einen Sprung durch die Luft. Möwen kreischen.

Ein paar hundert Meter vom Ufer entfernt wachsen Krabben und Austern. Die Fangsaison für Krabben beginnt Mitte Mai. Die Austern sind jetzt schon ausgewachsen. Von Louisiana aus gehen sie in alle Bundesstaaten der USA. „Es sind die besten Austern der Welt“, sagt Gary Schmidt.

Der 61-Jährige sitzt auf einem Klapphöckerchen neben den Trümmerresten aus Beton, die „Katrina“ hinterlassen hat. Vor ihm spannen sich zwei Angelruten und fünf Krebsfangleinen. Unter ihm – im Schatten des Klapphöckerchens – steht Tomatensaft und Muschelwasser. Gary hat gute Köder mitgebracht: Krabben, um Fische zu fangen. Und Hühnerhälse für die Krebse. Aber das Anglerglück ist ihm nicht hold. Es beißen bloß Katzenfische an. „Harte Köpfe“, schimpft Gary, „die kann man nicht essen.“ Jeden neuen Katzenfisch, den er an Land zieht, lässt er ein wenig zappeln. Wenn der Fisch erlahmt, nimmt er ihn vorsichtig in die linke Hand – um nicht die giftigen Stachel an den Flossen zu berühren – und zieht ihm mit der rechten Hand den Haken aus dem Maul. Dann wirft er ihn zurück ins Wasser.

Gary ist der einzige Mann, der an diesem heißen Tag im Mai versucht, dem Wasser in Shell Beach etwas Essbares abzugewinnen. Das Angeln ist sein Hobby. Im Hauptberuf ist er Tischler. Die Profifischer in dem Ort drehen Däumchen. Sie warten. Anstatt ihre Austern zu ernten, oder ihre Boote für die Krabbensaison vorzubereiten, warten sie darauf, dass British Petroleum endlich einen Deckel über das Loch am Meeresboden stülpt, aus dem weiter Rohöl ins Meer sprudelt. Dass der Wind sich dreht, damit das Öl nicht an ihr Land schwappt.

Die Explosion der Ölplattform Deepwater Horizon hat schon jetzt das Leben in Shell Beach und in Dutzenden von Nachbargemeinden zum Stillstand gebracht. Dabei ist der täglich größer werdende Ölteppich noch mehrere Meilen weit von der Küste entfernt. Und ist das Rohöl von Shell Beach aus bislang weder zu sehen noch zu riechen. In dem Feuchtgebiet im Mündungsdelta des Mississippis, dreht sich alles um das Wasser. Die Fischer fahren auf „Bayous“ – kleinen Wasserläufen, die das Land durchfurchen – auf Seen hinaus. Die wiederum sind zum Golf von Mexiko hin offen. Das Wasser bewegt sich hin und her in beide Richtungen: Mit den Gezeiten. Mit den Winden. Und mit den Stürmen.

Bei „Campo’s Marina“ – zugleich Bootsanleger und Tankstelle – stehen vier Männer mit vor der Brust gekreuzten Armen im Schatten. Hinter ihnen ist der Bayou, über den sie hinaus aufs offene Wasser fahren. Vor ihnen liegt der vor Hitze glühende Asphalt der Straße. Ab und an kommt ein Kollege vorbei, lässt den Motor seines Pick-ups weiterlaufen, damit die Klimaanlage nicht ausgeht, und gesellt sich auf eine Coca-Cola zu den anderen. Alle Fischer haben bei BP Anträge auf Entschädigung für ihre Verdienstausfälle eingereicht. Alle haben auch schon Nummern von Anwälten notiert, um notfalls zu klagen. Alle haben sich auch gemeldet, um mit ihren Booten bei den Ölräumarbeiten zu helfen. Am vergangenen Samstag haben sie bereits einen Einführungskursus bekommen und gelernt, wie man schwimmende Ölbarrieren auslegt. Aber seither warten sie vergeblich auf den Anruf von BP. Der Konzern hat offenbar genügend Helfer.

Einer der Fischer in Shell Beach hat bereits einen Scheck erhalten. Robert Campo hat bei eine Talksendung im Radio angerufen und dort gesagt, dass er seine Rechnungen in jedem Fall weiter zahlen muss. Auch wenn er nicht fischen darf und keine Einnahmen hat. Das reichte. Tags darauf fuhr ein Vertreter von BP bei ihm vor und überreichte ihm einen Scheck in Höhe von 5.000 Dollar.

Robert ist in Shell Beach aufgewachsen: mit einem Vater und einem Großvater, die fischten. In einem Haus auf fünf Meter hohen Stützsäulen, in der besonderen Bauweise aus dem Süden von New Orleans, die tropischen Stürmen und dem damit einhergehenden plötzlichen Ansteigen des Wasserspiegels um mehrere Meter am besten standhält. Doch „Katrina“ hat auch das Elternhaus von Robert nicht überlebt. Der Hurrikan verwandelte ganz Shell Beach in einen Trümmerhaufen und Friedhof. Als Robert nach dreimonatiger Evakuierung im Nachbarbundesstaat Alabama nach Hause zurückkehrte, musste er komplett von vorn beginnen. Von den 500 Menschen, die den Ort vor „Katrina“ bewohnten, haben nur 12 Familien einen Neuanfang in ihrem alten Ort gewagt.

Das Warten auf die Ölpest vergleichen sie jetzt mit der Ruhe vor einem Hurrikan. Mit einem Unterschied. Bei dem Warten auf einen tropischen Sturm, wissen sie, was zu tun ist: die wichtigsten persönlichen Dinge einpacken, das Haus verrammeln und notfalls wegfahren. Auf eine Ölpest ist niemand von ihnen vorbereitet. Keiner der Männer, die täglich mit ihren Fischerbooten in die Nähe von Ölbohrplattformen kommen, hat je zuvor daran gedacht, dass eine davon eines Tages explodieren könnte. Nun wissen sie, dass die Ölpest schlimmer werden kann als „Katrina“. „Nach einem Hurrikan kann man neue Häuser bauen, neue Bäume pflanzen und neue braune Pelikane züchten“, erkennt Robert, „nach einer Ölpest gibt es kein Leben mehr.“

Trotzdem bleibt der Fischer, der nebenbei eine Tankstelle für Boote und Autos betreibt, der Ölförderung zugeneigt. „Öl und Fischerei gehen in Louisiana Hand in Hand“, sagt er. Denn: „Erdöl ist überall, in Plastiktüten, in der Heizung und im Auto. Wie wollen nicht darauf verzichten.“ Seine Kollegen nicken einmütig. „Wir sind hier keine Ökofreaks“, sagt einer. Die anderen lachen.

Captain Dee, der früher selbst zur See gefahren ist, kommt jetzt, da er Rentner ist, manchmal zu Besuch in das Feuchtgebiet im Süden von New Orleans. Er gehört zu jenen, die auch früher schon an die Gefahren von Offshore-Bohrungen gedacht haben. Aber er ist zugleich der Ansicht, dass die USA eigenes Öl brauchen, „um nicht abhängig von Ländern wie Iran und Irak zu sein“. Außerdem war er immer schon davon überzeugt, dass Proteste gegen Ölbohrungen zwecklos sind. „Die Ölkonzerne machen Milliardengewinne“, begründet Dee, „davon zweigen sie seit Jahren Beträge für die Politiker in Senat und Repräsentantenhaus ab. Den Konzernen tut das nicht weh. Aber es reicht, um die Politiker von der Ölförderung zu überzeugen.“

Der Hobbyangler Gary denkt nicht in Milliardenkategorien. Seit „Katrina“, als sein Hab und Gut verloren ging, ist er über beide Ohren verschuldet. Jeden Monat muss er 112 Dollar zurückzahlen – noch zwölf Jahre lang. Er angelt nicht nur wegen der Ruhe am Ende der Straße, sondern auch, weil sein Haushaltsgeld zu knapp geworden ist. Von den Politikern sämtlicher Parteien erwartet er seither nichts Gutes mehr. „Sie haben uns bei ‚Katrina‘ im Stich gelassen“, sagt er bitter, „sie werden es wieder tun.“