: Wenn die Kasse nicht mehr klingelt
FINANZEN Der Arbeitskreis Steuerschätzung prognostiziert bis 2013 ein Finanzloch von 38 Milliarden Euro
AUS BERLIN HANNES KOCH
Wegen der Banken- und Wirtschaftskrise erhält der Staat in den kommenden Jahren deutlich weniger Steuereinnahmen. Im Vergleich zur Steuerschätzung vom Mai vergangenen Jahres fließen bis 2013 rund 38 Milliarden Euro weniger auf die Konten von Bund, Ländern und Gemeinden. Diese Prognose veröffentlichte der Arbeitskreis Steuerschätzung am Donnerstag.
Die neue Schätzung kurz vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen hatte in den Debatten der vergangenen Monate eine besondere Bedeutung erhalten. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel betrachtete sie als einen Indikator dafür, wann und wie die von der FDP geforderte Steuersenkung möglich ist. Daran, dass die Steuersätze sinken sollen, hielt FDP-Generalsekretär Christian Lindner trotz der ernüchternden Zahlen auch gestern fest (siehe unten).
Die Zahlen sehen so aus: 2010 erhalten die Finanzämter insgesamt 510 Milliarden Euro – so viel wie schon bei der vergangenen Schätzung erwartet. 2011 und 2012 aber fallen die Steuereinnahmen um jeweils 12 Milliarden Euro geringer aus, 2013 um 14 Milliarden Euro.
Erst 2014 – nach der nächsten Bundestagswahl – könnten Bund, Länder und Gemeinden wieder etwas mehr Geld verbuchen als 2008, dem letzten Jahr des zurückliegenden Booms. Für 2014 rechnen die Steuerschätzer insgesamt mit Staatseinnahmen von 581 Milliarden Euro (2008: 561 Milliarden).
In den Jahren 2011 bis 2013 machen alle Verlust – sowohl der Bund als auch die Länder und Kommunen. Dass weniger Einnahmen fließen, ist unter anderem auf Steuersenkung der schwarz-gelben Regierung im sogenannten Wachstumsbeschleunigungsgesetz zurückzuführen, das im November verabschiedet worden war.
Nun verringern die schlechten Zahlen die Chancen für die FDP-Steuersenkung. Das Geld dazu müsste Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble durch geringere Ausgaben oder höhere Einnahmen an anderer Stelle erwirtschaften. Denn mehr Schulden machen darf der Finanzminister nicht. Im Gegenteil: Wegen der Schuldenbremse, die im Grundgesetz verankert wurde, muss die diesjährige Neuverschuldung von rund 80 Milliarden Euro ab 2011 Jahr für Jahr um rund 10 Milliarden Euro heruntergefahren werden. Insgesamt müsste Wolfgang Schäuble damit allein im kommenden Jahr 26 Milliarden Euro irgendwo im Bundeshaushalt lockermachen.
Eine solche Summe aus dem Etat von 325 Milliarden Euro herauszuschneiden ist nicht unmöglich, aber ein riesiger Kraftakt – besonders in Krisenzeiten. Bislang ist die Koalition mehr oder weniger ratlos, woher sie das Geld nehmen soll.
Schäuble wies am Donnerstag mit Blick auf die laufende Etatplanung auch darauf hin, dass 2011 nicht der schwierigste Teil der Operation werde, „die Folgejahre werden schwieriger“. Zu den Steuersenkungsplänen sagte Schäuble lediglich: „Der Koalitionsvertrag gilt.“ Union und FDP müssten jetzt auf Grundlage der aktuellen Zahlen jedoch über politische Prioritäten entscheiden.
Der Finanzminister erklärte auch, dass grundsätzlich der Spielraum für Steuersenkungen vorhanden sei. Wer aber Ausgaben befürworte, müsse in jedem Falle auch Vorschläge für deren Gegenfinanzierung unterbreiten, damit der Abbau der Schulden gelinge. „Die Solidität der Finanzpolitik ist existenziell“, bekräftigte Schäuble.
Vor diesem Hintergrund hatte die FDP bereits ein Zugeständnis an die CDU gemacht: 2011 wolle man entscheiden, welche Steuersenkung 2012 kommt. Das Schwergewicht soll dabei zunächst auf der Vereinfachung des Steuerrechts liegen. Das heißt: Die Steuersenkung wird viel geringer ausfallen, als die FDP heute noch verlangt.
„Die FDP hat so getan, als ob es die Krise nicht gebe, und sich der Realität nicht gestellt,“ sagte SPD-Fraktionsvize Joachim Poß gestern im Bundestag. Die Sozialdemokraten forderten ihrerseits, angesichts der gigantischen Staatsschulden die Steuern nicht weiter zu senken, sondern stattdessen zu erhöhen.
„Der Spitzensteuersatz sollte von heute 45 auf 49 Prozent steigen“, erklärte Poß. Außerdem sei zu überlegen, die Selbstständigen in die Gewerbesteuer einzubeziehen – allerdings unter Anrechnung auf die Einkommensteuer, damit sich die Zusatzbelastung in Grenzen halte. „Dies würde die Finanzsituation der Kommunen deutlich verbessern“, sagte Poß. Auch die Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie plädiert für einen Spitzensteuersatz von 49 Prozent. Auch sollte die Steuer auf Kapitalerträge von 25 auf 35 Prozent steigen.