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Archiv-Artikel

Kritik und Proteste bei Trauerfeier in Lampedusa

ITALIEN Zeremonie für Opfer der Schiffskatastrophe vom 3. Oktober findet ohne Überlebende statt

ROM taz | Mit einer von heftiger Kritik und Protesten begleiteten Trauerfeier hat Italien am Montagnachmittag Abschied von den 366 Todesopfern der Schiffskatastrophe vor Lampedusa genommen. Aus Rom waren Innenminister und Vizepremier Angelino Alfano, Verteidigungsminister Mario Mauro sowie Integrationsministerin Cécile Kyenge gekommen. Doch die Trauerfeier fand in Abwesenheit der Toten ebenso wie der Überlebenden statt, die weiter im Flüchtlingscamp auf Lampedusa sitzen.

Direkt nach der Tragödie hatte Premier Enrico Letta ein „Staatsbegräbnis“ angekündigt. Stattdessen gab es eine Zeremonie, die der Bürgermeister Agrigents, Marco Zambuto, als „Staats-Farce“ und „Schaulaufen von Politikern“ kritisierte. Lampedusas Bürgermeisterin Giusi Nicolini war nicht gekommen.

Und den Lebenden wurde ein Dabeisein bei der Trauerfeier verwehrt. Etwa 60 von ihnen reagierten am Montag, indem sie das Tor des Flüchtlingslagers von Lampedusa aufbrachen und sich zu einem Sit-in versammelten. Ihnen wurde am Ende die Abhaltung einer eigenen kleinen Zeremonie auf den Felsen nahe der Unglücksstelle gestattet.

„Wo sind die Überlebenden?“, fragte derweil ein Spruchband bei der Trauerfeier. Am Ende wurde Innenminister Alfano mit dem von Flüchtlingsaktivisten und Eritreern gerufenen Sprechchor „Mörder, Mörder, weg mit dem Gesetz Bossi-Fini!“ zu einem überstürzten Aufbruch getrieben. Alfano hatte nach der Tragödie vom 3. Oktober dieses Gesetz verteidigt, das eine legale Einwanderung in Italien so gut wie unmöglich macht.

Auf Kritik stieß auch die Anwesenheit des eritreischen Botschafters. Musse Zerai, in Italien lebender eritreischer Priester, fragte: „Welchen Sinn hat es, den Repräsentanten jener Regierung einzuladen, vor der diese Leute zu fliehen versuchen?“

Statt bei der Totenfeier war Lampedusas Bürgermeisterin Nicolini am Montagnachmittag bei Staatschef Giorgio Napolitano, um eine Wende in der Flüchtlingspolitik zu fordern. Wenig hält sie von dem unter dem Namen „Mare Nostrum“ angelaufenen Großeinsatz von Schiffen und Flugzeugen. „Mit dieser Operation gibt man eine militärische Antwort auf ein humanitäres Problem“, erklärte sie und verlangte die Schaffung humanitärer Korridore. MICHAEL BRAUN