: Jenseits der Realität
FOTOGRAFIE Für junge Fotografen verliert die Abbildung von Realität an Bedeutung, dafür gibt es einen Trend zur Illusion und zum Inszenierten. Das jedenfalls legt die Ausstellung „Gute Aussichten“ in Hamburg nahe
Es ist nicht immer angenehm, als junger Fotograf über ein Nachwuchs-Förderprojekt an die Öffentlichkeit zu treten. Wer dabei sein will, muss die Spielregeln der Projektmacher akzeptieren. Im Fall des Projektes „Gute Aussichten“ ist eine Regel, dass es eine Ausstellung in den Hamburger Deichtorhallen gibt, auf denen die Fotos der Nachwuchsfotografen gezeigt werden. Außerdem ist eine Regel, dass Fotos von den Fotografen gemacht werden für die Website. Welche Haltung nimmt man als Fotograf ein, wenn es heißt: „Stell‘ Dich mal für ein Foto vor Dein Foto?“ Schwierig.
Georg Brückmann, geboren 1977, Fotograf aus Leipzig hat auf dem Website-Foto die Arme hinter dem Rücken verschränkt, wie ein Soldat, der einen Befehl erwartet. Sonja Kälberer aus Leipzig, geboren 1970, hält den Daumen der einen Hand verlegen mit Daumen und Zeigefinger der anderen Hand. Der Berliner Philipp Dorl, geboren 1978, zeigt die ausgestreckten Handflächen wie ein Verkäufer im Autohaus.
Sie alle können nichts dafür. Sie alle würden niemals solche Fotos machen. Dazu wären sie als Hochschul-Abgänger zu gut ausgebildet. Außerdem würden sie sich nicht für Portraitfotografie interessieren. Ihr Interesse ist, „eigenständige Bildwelten“ zu inszenieren, wie es die Initiatorin Josefine Raab formuliert.
Georg Brückmann zum Beispiel hat menschenleere Räume fotografiert und jeweils einem Möbelstück einen Anstrich verpasst, der so aussieht, als wäre er nachträglich auf das Foto aufgepinselt worden. Ist er aber nicht. Die Realität ist verfremdet, nicht das Foto. Ein origineller Effekt.
Ebenso trickreich inszeniert und ebenso wirkungsvoll sind die Bilder von Ute Klein: Sie zeigen innig ineinander verknotete Menschen, die auf den ersten Blick an eine Manipulation am Computer denken lassen. Das aber ist nicht der Fall: Aus zwei Menschen wird bei entsprechender Verknotung auch ohne Computer ein realitätsfernes Wesen.
Die Fotos der insgesamt acht FotografInnen eint, dass sie sich nicht für die Abbildung von Realität interessieren, sondern für die Illusion und das Konstruierte. Reportageartige Züge zeigt lediglich die Arbeit von Anna Simone Wallinger: Sie hat Asylsuchende in Berlin-Spandau in einem der Unterbringungs-Container zwölf Stunden täglich jede halbe Stunde vom selben Standpunkt aus fotografiert. Ihr ging es darum zu zeigen, „wie das Leid anderer betrachtet werden kann, ohne dem platten Konsum anheim zu fallen“. Das Projekt lebe „von der Interaktion mit den Bewohnern, welche sich hierbei selbst inszenieren“.
Die acht GewinnerInnen wurden von einer Jury ausgewählt aus einem Pool von 91 Vorschlägen, die von Fotografie-ProfessorInnen deutscher Hochschulen gemacht wurden. Bei dem Wettbewerb gibt es kein Preisgeld und keine Rangliste, dafür wird die Ausstellung wandern: Nach Hamburg sind die Stationen die Goethe-Institute in Madrid und Washington und dann das Foyer der DZ Bank in Frankfurt am Main. KLAUS IRLER
bis 30. 5. , Deichtorhallen Hamburg