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Archiv-Artikel

Schreiben als Art und Weise, zu malen

KLASSIKER Die Gesichtszüge Albertines: Der New Yorker Maler Eric Karpeles versammelt in einem schönen Bildband die Gemälde aus Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“

„Mein Buch ist ein Gemälde“, sagte Marcel Proust einmal zu Jean Cocteau

VON TOBIAS SCHWARTZ

Eine Madeleine in eine Tasse Tee zu tunken und sich den Duft dieses nicht nur in Frankreich populären Gebäcks zu vergegenwärtigen, dem Marcel Proust in „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ mehrere Seiten widmet, ist eine simple Methode, um sich als Leser dem monumentalen Werk auch von der kulinarischen Seite her zu nähern. Einmal die berühmte Sonate des Komponisten Vinteuil zu hören, einen Roman des Schriftstellers Bergotte zu lesen oder ein Gemälde des Künstlers Elstir zu betrachten – alles Motive, die sich wie die Madeleine als Leitfaden durch alle sieben Bände der „Recherche“ ziehen – bleibt dagegen leider und zwangsläufig ein Ding der Unmöglichkeit, handelt es sich bei diesen für den Ich-Erzähler unermesslichen Erinnerungs- und Inspirationsquellen doch um erfundene Figuren, wenngleich sie auch verschiedenen realen Vorbildern nachempfunden sind.

Das fiktive Atelier Elstirs jedenfalls stellt für den jungen Marcel ein Erweckungserlebnis in Sachen Kunst dar. Zu der Figur des Malers verschmelzen Berühmtheiten wie Watteau, Moreau, Monet und nicht zuletzt Whistler, die auch als reale Künstler in der „Recherche“ fortlaufend Erwähnung finden. Ihre und viele weitere Gemälde von Rembrandts „Philosoph“ über Turners „Dogana und Santa Maria della Salute“ bis zu Renoirs „Tanz im Moulin de la Galette“, das direkt eine Szene aus der „Recherche“ abzubilden scheint, dienen zahllosen Vergleichen sowie als Vorbilder für Charakterisierungen und sehr markante Karikaturen. Prousts Humor ist nicht zu unterschätzen. So macht sich der Autor über die „Manie“ seiner Figur Swann lustig, Ähnlichkeiten zwischen seinen Bekannten und Figuren aus Gemälden alter Meister aufzuspüren, eine Angewohnheit, die er selbst manisch kultiviert, durchaus auch auf fast boshaft komische Weise, etwa wenn er Marcel die Gesichtszüge Albertines mit „gewissen Karikaturen Leonardos“ wie dessen Grotesken Köpfen vergleicht.

Eine intensive Wechselwirkung zwischen bildender Kunst und Schriftstellerei gibt es bekanntlich nicht erst seit Proust. Flaubert beispielsweise wollte so schreiben, wie Delacroix malte; Delacroix wiederum so malen, wie Lord Byron schrieb. Für Proust, so beschreibt es der New Yorker Maler Eric Karpeles, war Schreiben eine Art und Weise, zu malen. „Mein Buch ist ein Gemälde“, äußerte der Autor der „Recherche“ einmal gegenüber Jean Cocteau.

Der Proust-Kenner Karpeles, der in den Siebzigern als Stipendiat in Frankreich lebte, hatte nun die geniale Idee, die unzähligen in der „Recherche“ erwähnten und zum Teil vom Autor ausführlich kommentierten Gemälde in einem Bildband zu versammeln und damit einen Kunstführer durch die Welt Marcel Prousts zu kreieren, dessen Abbildungen nun wie der Duft einer in Tee getunkten Madeleine einen vom reinen Leseerlebnis abweichenden, sinnlichen Zugang verschaffen.

Den 196 farbigen Gemäldeabbildungen sind jeweils die entsprechenden Zitate aus der „Recherche“ gegenübergestellt, in denen sie vorkommen. Der Band „Marcel Proust und die Gemälde aus der Verlorenen Zeit“ ist so eine wunderbare Ergänzung von Prousts epochalem Werk, die wesentlich mehr ist als eine bloße Illustration. Karpeles führt in jede einzelne Gegenüberstellung von Bildabdruck und Textzitat durch eine kleine Zusammenfassung der Handlung ein. Dem schmucken Band hat er zudem einen instruktiven und unterhaltsamen Essay über Prousts Beziehungen zur bildenden Kunst vorangestellt. Eine CD-Sammlung mit der „Musik aus der Verlorenen Zeit“ wäre als Fortsetzung keine schlechte Idee, eine Bibliothek mit den „Büchern aus der Verlorenen Zeit“ aber würde wohl den Rahmen sprengen.

Eric Karpeles: „Marcel Proust und die Gemälde aus der Verlorenen Zeit“. Dumont, Köln 2010, 352 Seiten, 196 Abbildungen, 34,95 €