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Archiv-Artikel

Israel-Poster der Künstlergruppe Surrend – jenseits der Satire?

PRO

ULRICH GUTMAIR ist Kulturredakteur der taz

Der Staat heißt Ramallah, wie alle in ihm befindlichen Städte auch. Das Territorium dieses Staats umfasst das heutige Israel sowie alle Gebiete, die heute der Palästinensischen Autonomiebehörde unterstehen. Darüber ist in schwarzen, großen Versalien zu lesen: „Endlösung“. Man kann das Poster der dänischen Künstlergruppe Surrend, das all das zeigt, auf unterschiedliche Weisen interpretieren. Es sind ihrer drei.

Erste Möglichkeit: Man nimmt diese Kombination von Wort und Text als das, „was es ist“. Man unterstellt den Urhebern damit, das zu propagieren, was sie darstellen: Eine „Endlösung“, die darin besteht, den jüdischen Staat durch ein „Ramallah“ zu ersetzen.

Zweite Möglichkeit: Der Rezipient geht davon aus, dass es sich um eine drastisch formulierte Warnung handelt: Wenn Israel von seinen Feinden ausgelöscht werden sollte, dann hätten sich Hitlers Pläne erfüllt. Das Plakat wäre dann eine Aufforderung, sich mit Israel zu solidarisieren.

Dritte Möglichkeit: Das Poster wird als Kommentar auf Lesart zwei verstanden, die als Propaganda kenntlich gemacht werden soll. Es wäre eine Kritik an einem apokalyptischen Szenario, das nicht zu befürchten ist. Kritisiert würde damit implizit auch, geschichtliche Ereignisse für propagandistische Zwecke zu missbrauchen.

Das Plakat bietet also Interpretationsraum für drei typische Positionen zum Nahostkonflikt. Da sind erstens die echten Neonazis, Antiimperialisten und Antizionisten, die Israel verschwinden lassen wollen. Da ist zweitens eine Position, die aus historischen Gründen und mal mehr, mal weniger militant einen wehrhaften Staat Israel befürwortet. Da sind drittens diejenigen, die es etwa Benjamin Netanjahu übel nehmen, wenn er mit den Bauplänen von Auschwitz vor den Vereinten Nationen auftritt, um mit dem Verweis auf eine schreckliche Geschichte für seine Politik zu werben.

All diese Positionen gibt es, alle sind sie bestens bekannt. Hat sich durch das Plakat irgendein neuer Gedanke eingestellt? Lernen wir was? Die Antwort ist ein resolutes Nein. Das aber bedeutet, dass auch dieses Poster die Geschichte von Auschwitz missbraucht.

CONTRA

JAN EGESBORG ist Mitglied der dänischen Künstlergruppe Surrend

Zu zeigen, wie die öffentliche Meinung funktioniert, ihre Mechanismen aufzudecken – das bedeutet, durchdachte Kunst zu machen. Mit unserem Israel-Poster haben wir genau das versucht.

Wer in Deutschland Israel kritisiert, wird häufig umgehend und reflexhaft als Antisemit oder Holocaustleugner angegriffen. Selbst wenn man Jude ist und sich zuvor über Ahmadinedschad, die Hisbollah, Neonazis, Autonome oder auch Die Linke lustig gemacht hat. Egal. Wenn die Aufregung erst mal da ist, kümmert sich keiner mehr um Recherche und darum, herauszufinden, was und wer wirklich hinter dem Statement steckt. Niemand will auch nur mehr mit dir reden. Alle versuchen nur noch, dich in Stereotype zu pressen. Als ehemaliger Journalist weiß ich, dass Recherche eine gute Story kaputt machen kann.

Ein gutes satirisches Poster lebt von seiner Einfachheit. Ein pointierter Text schließt sich mit dem Bild kurz: Darum geht es. Die Botschaft sollte so spitz sein wie eine Nadel. Die Plakatüberschrift „Endlösung“ haben wir sorgsam ausgewählt, denn der Begriff ist in Deutschland ein Tabuwort. Wird es in ein Bild von einer Landkarte integriert, aus der Israel gelöscht und durch „Ramallah“ ersetzt wurde, dann haben wir hier einen Klassiker zwecks Demaskierung der öffentlichen Meinung. Diese wird die Macher unmittelbar als Antisemiten brandmarken, ohne auch nur einmal deren Hintergrund zu überprüfen.

Platziert man ein solches Poster zudem in einen Happening-Kontext mit falschen, also satirischen Statements, etwa der Art, dass wir wollten, die Israelis sollten alle in einem Boot sich nach Deutschland aufmachen – dann muss man nur noch auf die erwartete Reaktion warten.

Also: Selbstverständlich handelt es sich bei unserem Israel-Poster um ein sehr gelungenes, satirisches Kunstwerk – etwas, wovon Kunstkritiker in der Regel nichts verstehen. Und nur fürs Protokoll: Wir wollten auch den israelischen Staat wegen seiner Politik gegenüber den Palästinensern kritisieren, und wir stellen das Existenzrecht Israels natürlich nicht infrage – aber das ist eine andere Geschichte!