„Politische Schärfe verloren“

MEDIEN-GESCHICHTE Ein taz-Redakteur der ersten Stunde berichtet von Anfangsjahren und Militanz

■ 70, der Journalist und Autor war von der ersten Ausgabe im Jahr 1979 bis 1991 Mitglied der taz-Redaktion.

taz: Herr Kempe, was stand in der ersten Ausgabe der taz am 17. April 1979?

Martin Kempe: Auf der ersten Seite war das Bild eines Clowns abgedruckt, der mit einem Stein wirft. Der Stein war schon ein Ausdruck von Militanz, aber in Verbindung mit dem Clown wurde klar, dass die Steine, die wir als Zeitung werfen wollten, aus Worten bestanden.

Sie hatten als einziger schon für eine Zeitung geschrieben. Wie war die Arbeit mit Amateuren?

Es war toll – eine unglaublich intensive Zeit. Die anderen waren zwar Amateure, aber intelligente Amateure. Wir alle haben schnell gelernt und der Druck der täglichen Zeitungsproduktion ist ungeheuer disziplinierend.

Was hat die taz mit dem Deutschen Herbst zu tun?

Der Deutsche Herbst war ein wichtiges Motiv für die Gründung. Andere Zeitungen hatten sich einer freiwilligen Selbstzensur unterworfen. Die taz wollte offen über den Deutschen Herbst berichten und zwar so, dass es den Herrschenden auch wehtun konnte. Wir haben gegen die staatliche Repression angeschrieben.

Hatte die Berichterstattung Konsequenzen?

Nein. Die taz war zu Anfang ein riesiges Gebilde, das aus vielen verschiedenen Initiativen bestand und war deshalb nur schwer für die Behörden greifbar. Eigentlich ähnelte die taz mehr einer soziale Bewegung als einer professionellen Zeitung. Aber der Verfassungsschutz hat uns beobachtet.

War die taz in den ersten Jahren mehr als ein Verlautbarungsorgan der sozialen Bewegungen?

Propaganda-Organ war die taz nie. Wir hatten immer ein gewisses Spannungsverhältnis zu unserer eigenen Klientel. Selbst als unsere Redaktion von Freunden und Unterstützern der RAF besetzt wurde, haben wir unsere redaktionelle Unabhängigkeit immer verteidigt.

Was ist von der taz als Alternativmedium übrig geblieben?

Die taz war seinerzeit ein Medium über das neue Akzente in den deutschen Journalismus hereingetragen wurden. Mit der Zeit haben andere Journalisten natürlich unsere Themen entdeckt und wir haben unser Themenmonopol irgendwann verloren. Heute ist die taz schon noch links, aber sie unterscheidet sich nicht mehr stark vom Mainstream. Die politische Schärfe der Anfangszeit gibt es in der taz so nicht mehr.  INTERVIEW: REA

Vortrag: Die Anfangsjahre der taz von Martin Kempe in der Reihe „Studentenbewegung und Folgen“ in der Geschichtswerkstatt Eimsbüttel, Sillemstr. 79, 19.30 Uhr