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Archiv-Artikel

Der Schwabe hat uns umzingelt

PARTISANEN Olga Rodiç und Radoslav Deriç kämpften in Jugoslawien gegen die Nazis. Im Festsaal Kreuzberg sprachen sie darüber

Sie war erst 17 Jahre alt. Als sich Olga Rodiç 1943 entscheidet mit den jugoslawischen Partisanen gegen die Besetzung der Wehrmacht zu kämpfen, kommt sie gerade vom Gymnasium. „Über Nacht führte ich kein normales, sondern ein absolut unnormales Leben“, resümiert Rodiç heute. Sie kämpfte an der Front und assistierte - nach einem medizinischen Crash-Kurs - bei chirurgischen Eingriffen auf freiem Feld.

1941 war das damalige Jugoslawien von deutschen und italienischen Truppen besetzt und zerschlagen worden, Serbien galt bereits ein Jahr später als „juden- und zigeunerfrei“ und Vergeltungsaktionen gegen die jugoslawischen Partisanen forderten täglich Tote. Nicht zuletzt wegen der Grausamkeit der Wehrmacht wurden die Partisanen unter kommunistischer Führung zu einer Massenbewegung, die bis zu 800.000 Kämpfer umfasste. Jugoslawien gilt als einziges Land, das sich selbst befreite, obgleich die Partisanen-Bewegung auch mit den kollaborierenden Einheiten der Ustaschen, Tschetniks oder der slowenischen „Heimwehr“ zu kämpfen hatte.

„Trotz der schrecklichen Erfahrungen ging ich wieder zu den Partisanen, denn wir kämpften für eine gerechte Sache“, resümierte Rodiç am Samstag im Festsaal Kreuzberg, wo sie mit dem früheren Partisan Radoslav Deriç auf dem Podium saß. Die Antifaschistische Linke Berlin hatte die beiden eingeladen, anlässlich des 65. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus als Zeitzeugen zu sprechen und anschließend zu feiern.

Vehemente Persönlichkeit

Der Festsaal platzte aus allen Nähten, es waren über 200 Zuhörer. Die meisten sehr jung, viele von ihnen im obligatorischen schwarzen Kaputzenshirt. Nach einem etwas lehrbuchhaften historischen Abriss übergab die Moderatorin das Wort an Deriç. An dessen Kragen steckte ein Button der Antifaschistischen Aktion.

Deriç erläuterte zunächst ausführlich die Taktik der Partisanenverbände und deren ideologische Motive. Er stellte klar, dass trotz der verwirrenden Konstellationen keinesfalls von, wie heute häufig behauptet wird, einem Bürgerkrieg, sondern von einem Volksbefreiungskampf die Rede sein müsse.

Dann sagte er: „Jetzt nehme ich mir die Freiheit, über mich zu reden.“ Nicht zuletzt wegen seiner Vehemenz ist Deriç eine eindrucksvolle Persönlichkeit. Betont und ruhig spricht er. Erwähnt er „den Okkupanten“, so reckt er seinen Zeigefinger in die Höhe. In seiner Erzählung mischen sich die Geschichten aus dem Kollektivgedächtnis des sozialistischen Jugoslawien mit persönlichen Erinnerungen.

Etwa daran, wie seine Brigade in den Wäldern Bosniens bei Eiseskälte nur mit Mühe den Wehrmachtstruppen entkommen konnte. „Der Schwabe versuchte uns zu umzingeln, aber wir wussten das“, triumphiert er.

Als das Publikum wegen der ungewohnten Bezeichnung für die Deutschen und der zackigen Sprache kichert, fällt Deriç dem Übersetzer ins Wort: „Pardon, die Faschisten.“ Als die Truppe endlich rasten konnte, mussten sie sich, so Deriç, mehrere Schichten Läuse von Haut und Kleidern schaben.

In diesen Momenten ist seine stolze politische Haltung bewundernswert. Er erzählt von der obligatorischen Theatergruppe und dem Chor jedes Partisanenverbandes, durch die sich Hunger, Krankheit und Tod leichter ertragen ließen. „Hatten wir ein Dorf befreit“, erinnert sich Deriç, „spielten und sangen wir für die Bevölkerung.“

Gegen Ende erlaubt sich eine Moderatorin die Frage nach dem persönlichen Kriegsende der beiden Zeitzeugen. Während Rodiç erläutert, wie sie nach der Nachricht von der Kapitulation umkehrten, um die Deutschen „über die Grenze zu scheuchen“, wurde Deriç deutlicher. Nachdem die Alliierten Dutzende von weiterhin bewaffneten Wehrmachts- und kollaborierenden Einheiten über die Grenze zurück nach Jugoslawien geschickt hatten, habe man viele von ihnen „aus Angst“ erschossen: „Und so ging der Krieg zu Ende.“

Der Applaus war an dieser Stelle erstmals verhalten. Einen bewegenden Abschluss bildete Rodiçs eindringliche Mahnung „Beschützt unseren Antifaschismus!“, der das Publikum mit den alten Partisanen wieder versöhnte. SONJA VOGEL