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Archiv-Artikel

Freude, Trauer, Tränengas

ABSTIEG Hannover hält die Klasse und gedenkt noch einmal Robert Enkes. Bochums Spieler und Fans liefern einen letzten peinlichen Auftritt ab

BOCHUM/HANNOVER taz | Die Tränen flossen auf beiden Seiten. Bei den aufgebrachten Anhängern des VfL Bochum, die nach dem Abstieg ihres Klubs randaliert hatten und von der Polizei mit Pfefferspray zurückgedrängt worden waren. Und bei den überglücklichen Spielern von Hannover 96, von denen eine große Last abgefallen war. Über Wochen und Monate hatten sie die Trauer um ihren Kapitän Robert Enke, der sich am 10. November 2009 das Leben genommen hat, im Alltag der Fußball-Bundesliga zurückstellen müssen. Nach dem 3:0-Erfolg in Bochum aber durften endlich wieder Emotionen ins Spiel kommen.

Während die Polizei noch damit beschäftigt war, über den Zaun geworfene Wurfgeschosse, Plastikstühle sowie Klobrillen zu einem Haufen zu türmen und die aufgebrachten Bochumer Fans in Schach zu halten, gab es auf der Gegenseite äußerst sinnliche Momente. Die Mannschaft von Hannover 96, die sich erst an den letzten beiden Spieltagen gerettet hat, war auf ein solch glückliches Ende einer turbulenten Saison nicht vorbereitet. Das schwarze Banner, das wie eine Art Gebetsteppich für den verstorbenen Enke ausgebreitet wurde, war den Spielern aus dem Fanblock gereicht worden. „Robert R.I.P.“ lautete die Aufschrift. „Rest in peace“: Die Botschaft zu Ehren des früheren Kapitäns bewegte alle im Stadion, die vor lauter Zorn und Wut gerade nicht den Überblick verloren hatten.

Es war diese Mischung aus Entschlossenheit und Geschlossenheit, die Hannover 96 auf den letzten Drücker der Saison noch den Klassenerhalt beschert hat. Die schnellen Tore von Arnold Bruggink (9. Minute), Mike Hanke (23.) und Sergio Pinto (45.) hatten die letzten Bochumer Hoffnungen auf ihre Rettung schnell im Keim erstickt. Dass die Mannschaft von Dariusz Wosz sich fast ohne jede Gegenwehr ihrem Schicksal ergeben hat, veranlasste den Bochumer Interimstrainer zu deutlichen und fast bösen Worten. „Zu meiner Zeit war das anders, da wollten wir gewinnen“, meinte Wosz voller Frust und Enttäuschung. Es hätte nicht viel gefehlt und die Anhänger des VfL hätten sich nicht nur mit der Polizei, sondern auch noch untereinander geschlagen. Die Wut über die Fans, die auf den Platz gestürmt waren, war beim gemäßigten Kreis der Anhänger riesengroß. Dass sich der Verein auf seinem erneuten Weg in die 2. Liga auf und neben dem Platz blamiert hat, rundete eine völlig missratene Rückrunde des VfL Bochum auf peinliche Weise ab.

Mit ihrem kopflosen Auftritt haben die Bochumer Spieler Hannover eine direkte Rettung im Klassenerhalt ermöglicht, an die vor zwei Wochen kaum zu denken war. Aber wie schon beim 6:1-Erfolg gegen Borussia Mönchengladbach am vorletzten Spieltag hatte sich die 96-Elf als eine hochkonzentrierte Einheit präsentiert. „Ich habe großen Respekt vor dieser Mannschaft. Wir habe alle zusammen an uns geglaubt“, meinte Trainer Mirko Slomka, der mit den Spielern und Fans ausgelassen jubelte, als die Nachdenklichkeiten wegen der Tragödie um Enke endlich abgeschüttelt waren. Mehrere tausend Fans haben die Mannschaft am späten Abend noch im heimischen Stadion in Hannover empfangen. Die Jubelarien und Albernheiten, die sich die erleichterten Spieler mit Bier im Blut mit ihrem Anhang genehmigten, sorgten für ein bewegendes Saisonfinale.

Die Verantwortlichen des VfL Bochum dagegen machten kein Geheimnis daraus, dass sich durch ihren Verein ein tiefer Riss zieht. „Was unsere Fans hier gezeigt haben, verabscheue ich“, sagte Sport-Vorstand Thomas Ernst, ehe er auch noch die eigenen Spieler kritisierte. „Einige bei uns haben sich wichtiger genommen, als das für eine Mannschaft gut ist“, meinte der traurige Funktionär, während draußen die Jagdszenen zwischen gewaltbereiten Fans und der Polizei kein Ende nehmen wollten.CHRISTIAN OTTO