: Marcel vs. Pascal
Es gibt keinen Club, um den in den letzten Jahren ein derart schrilles Mediengetöse entstanden ist wie um den Berliner Berghain. Wie Journalisten – die Erzeuger des Getöses – und Raver wissen, tut viel Aufmerksamkeit in Mainstreammedien diesen Orten selten gut. Der Berghain und das mit ihm verknüpfte Label Ostgut Ton (sogenannt wegen dem Vorgänger-Club Ostgut) halten dem Mediengetöse bis jetzt erstaunlicherweise stand, denn sie setzen konsequent auf eigene, oldschoolige Qualitäten.
Der Berghain-Resident-DJ mit dem eigenwilligsten Groove ist Marcel Dettmann. Aufgewachsen in Fürstenwalde, wurde er in einer Plattenbausiedlung groß, wo er bis zur Wende Euro-New Wave und EBM hörte. Die DJ-Werdung nach 1989 war da fast folgerichtig und die Arbeit im Legende gewordenen Plattenladen Hard Wax ein Mosaikstein. Inzwischen existieren zahlreiche Remixe von Dettmann und ein umwerfend straight groovender DJ-Mix namens „Berghain 02“.
Der Sound von Marcel Dettmann zeichnet sich durch eine besonders warme Düsternis aus, die sich stets auf oldschoolige Tracks von Larry Heard, Jeff Mills und Robert Hood bezieht, doch aus den Detroit- und Chicago-Einflüssen etwas vollständig Neues macht. „Dettmann“, Marcel Dettmanns schlicht betiteltes Debüt, klingt wie die Gegenwart von Techno, nicht wie ihre rückwärtsgewandte Essenz. Seine voll und sexy klingenden Rhythmen, besonders hervorstechend in dem Track „Motive“, stellen beim Hören diese Gegenwart her und deuten an, dass das Berghain nach wie vor ein außergewöhnlicher Ort ist.
Zu behaupten, nur der Club habe diese Sounds möglich gemacht, unterschätzt jedoch die individuelle Klasse von Dettmanns Deejaying. Einzuwenden, Marcel Dettmann habe dieses Album alleine, wie ein Musiker, entwickelt, ignoriert wiederum seine Zugehörigkeit zum Kosmos Berghain. Insgesamt ist „Dettmann“ ein hervorragendes Techno-Album. Seine Tanzbarkeit ist düster beglückend und tiefsinnig, wie ein geheimnisumwittertes Romandebüt von einem Autor, von dem man noch nie zuvor gehört hat.
Der Hamburger Produzent Pascal Fuhlbrügge versucht sich ebenso an House Music, aber mit einem völlig anderen Ansatz als Marcel Dettmann. Wo man bei „Dettmann“ die Geschichte und Gegenwart des Berghain hört, ist in Pascal Fuhlbrügges zweitem Album „Enthusiasm“ die musikalische Flucht aus den Rock-Klischees der sogenannten Hamburger Schule auf den Dancefloor das zentrale Motiv. Fuhlbrügge kommt aus dem musikalischen Zusammenhang Pudelclub. Als Ex-Gitarrist der Rockband Kolossale Jugend widmete er sich schon in den 90ern mit Jimi Siebels als Sand 11 zunehmend elektronischer Musik zwischen Pop, House und Experimentellem. Nach „CD1“ ist „Enthusiasm“ sein zweites Album unter eigenem Namen, obwohl befreundete Musiker, wie Thomas Mahmoud und Elena Lange, darauf mitgewirkt haben. „Enthusiasm“ überzeugt nicht im gleichen Maße wie „Dettmann“. Es klingt nach dem etwas bemühten Versuch, Musik für andere Musiker zu machen, die versuchen funky zu werden.
CHRISTOPHER STRUNZ
Marcel Dettmann: „Dettmann“ (Ostgut Ton/Kompakt)
Pascal Fuhlbrügge: „Enthusiasm“ (Hand 11/Buback)