: Kunstbetrachter – das war einmal
KUNST Barbara Kruger brilliert im Kunsthaus Bregenz auf drei Ebenen, und Dora Garcia aus Spanien richtet die „Joycean Society“ ein
VON GABRIELE HOFFMANN
Wer vom Bregenzer Bodenseeufer aus einen Seitenblick auf das Kunstmuseum wirft, wird von einem Smiley Face auf der Fassade begrüßt. Erst beim zweiten Blick entdeckt er den Riss quer durch das Gesicht, dazu den Satz: „Wer wird die Geschichte der Tränen aufschreiben?“ Texte auf Billboards entlang der Seestraße, darunter „Know Nothing, Believe Anything, Forget Everything“, in weißen Großbuchstaben auf Rot, tun ein Übriges, dem Flaneur so einzuheizen, dass er seine Schritte schnurstracks zum Museum lenkt. Dort provoziert auf drei Stockwerken die US-amerikanische Konzeptkünstlerin Barbara Kruger mit weiteren Stereotypen in Bild, Schrift und Ton. Die Klammer ihrer Ausstellung ist ein knappes „Believe + Doubt“.
Der Boden im ersten Obergeschoss ist von Wand zu Wand mit Schrift bedeckt, das heißt, man hat gereihte Texte – „Untitled (Suggestions)“ – wie „Nicht zerdrücken. Nicht zerschlagen“ oder „Nicht erschrecken. Nicht verleumden“ unter seinen Füßen. Das allein und die Unfähigkeit, die extrem hohen schmalen Buchstaben gleich zu überschauen, geschweige denn ihre Aussagen gedanklich sortieren zu können, erzeugt ein mulmiges Gefühl. Wer wissen will, was ihm Barbara Kruger zumutet, läuft lesend die Zeilen innerhalb des durch die Architektur vorgegebenen Grundrisses ab. Er überquert dabei eine rote Linie: „Gewalt lässt uns vergessen, wer wir sind.“
Die Textarbeit, die speziell für diese Ausstellung entstand, wird an allen vier Wänden von Fotocollagen aus den 80er Jahren gerahmt. Nach ihrem Kunst- und Designstudium interessierte Barbara Kruger sich für Kommunikationsstrategien mit Text und Bild, wie sie in Printmedien genutzt wurden. Für die in Los Angeles und New York lebende Konzeptkünstlerin, Jahrgang 1945, die an den documentas 7 und 8 beteiligt war und bei der Biennale in Venedig 2005 den Goldenen Bären bekam, ist die Bregenzer Schau ihre erste große Einzelausstellung in Österreich.
Ist es im ersten Obergeschoss noch möglich, die Sätze auf dem Boden nicht zu lesen, etwa durch diagonale oder andere sinnwidrige Bewegungen im Raum, so existiert diese Freiheit, sich zu entziehen, bei Krugers Vier-Kanal-Video-Arbeit „Twelve“ im zweiten Obergeschoss nicht mehr. Zu insgesamt zwölf Szenen und zwölf Gesprächen erscheinen auf den vier Wänden die überlebensgroßen Köpfe lesender Schauspieler. Der Besucher erlebt die Beziehungen, die dabei durch Bild, Schrift und Ton zwischen den Gesprächsteilnehmern entstehen, wie ein Gefangener. Die SprecherInnen erscheinen auf jeweils zwei gegenüberliegenden Wänden, so dass die Diskussionen über seinen Kopf hinweg erfolgen.
Man wird hineingezogen in den Slang der „Mädchen in einer Schulcafeteria“, ins dünkelhafte Gerede der „Kunstkritiker“, in die Anfeindungen eines „streitenden Paares“. Und um alle Versuche, einen klaren Kopf zu bewahren, auszuschließen, lässt Barbara Kruger Schriftbänder mit Texten durch das Bild laufen, die mal mit dem Gesprochenen korrespondieren, mal es konterkarieren. Kunstbetrachter – das war einmal.
Das gesprochene Wort steht im Zentrum einer Arbeit von Dora Garcia in der KUB Arena im Erdgeschoss. Ihr Interesse an Sprache als Handlungsraum, die Möglichkeiten für ein Spiel an der Grenze von Realem und Fiktionalem eröffnet, verbindet sich in „Die Sinthome-Partitur“ mit der Liebe zu James Joyce.
Für ihr jüngstes Filmprojekt „The Joycean Society“ hatte die spanische Künstlerin in Zürich die „James-Joyce-Lesegruppe“ gebildet. In Bregenz gibt es ebenfalls ein Ensemble von AkteurInnen/LeserInnen aus der Stadt, von denen jeweils ein Mitglied in der KUB Arena den Text aus der „Sinthome-Partitur“ langsam umhergehend mehr für sich als für ein Publikum liest, während ein anderes Mitglied mit improvisierten Körperbewegungen die Lesung begleitet.
Es ist kein Originaltext von Joyce, sondern, wie der Titel eine „Partitur“ vermuten lässt, ein Text aus der Feder des französischen Psychoanalytikers Jacques Lacan: „Le Sinthome“ von 1975/76, in dem dieser sich mit „Finnegans Wake“ von Joyce auseinandersetzt, um dem Symptom Joyce auf die Spur zu kommen. Am Ende steht für Lacan fest: Der psychische Raum, der die Form eines borromäischen Knotens mit drei Ringen hat – das Imaginäre, das Symbolische, das Reale –, muss im Fall des Autors von „Finnegans Wake“ durch Hinzufügung eines weiteren Rings, „Le Synthome“, zum Viererknoten erweitert werden. Für Lacan ist Genießen (jouissance) „das einzige, was wir von seinem Text einfangen können“. Kuratorin Eva Birkenstock hat der Künstlerin Doria Garcia an der Seeseite des Museums eine Hintertür geöffnet. Sie steht allen offen, die, mühselig und beladen von Lacans Analyse, Seeluft genießen wollen.
■ Bis 12. Januar, Kunsthaus Bregenz, Katalog 42 Euro