: „Entscheidend ist, zu zeigen, dass es anders gehen kann“
LINKE Regieren ist für Jutta Matuschek „nicht mit Vergnügungssteuer belegt“. Deswegen hat sie auch kein Problem, Opposition zu sein. Ihr geht es in erster Linie um Aufklärung
■ Bestes Mittel gegen Oppositionsfrust? Auf einer Bürgerversammlung von den Alltagsproblemen der BerlinerInnen lernen.
■ Bester Zwischenruf? „Worthülsenventilator!“
■ Wichtigste parlamentarische Rede? Schwer zu sagen. Besonderen Wert lege ich auf Grundsatzdebatten zur Wirtschaftssituation.
■ Das Tollste am Opposition-Sein? Nicht mehr dem Tauschhandel bei Koalitionsabsprachen ausgesetzt zu sein.
■ Welches Gesetz hätten Sie am liebsten verhindert? Einen Haushalt, der die finanziellen Spielräume nicht für die Nöte der Berliner, sondern zur Bankenrettung nutzt.
■ Bilanz der Fraktion: 15 Gesetzesinitiativen, 4 Große Anfragen, 508 Kleine Anfragen, 14 mündliche Anfragen, 172 Anträge.
In Raum 113 des Abgeordnetenhauses wird die Luft dick. Seit einer guten Stunde befragt der BER-Untersuchungsausschuss einen ehemaligen Staatssekretär des Bundesverkehrsministeriums. Jutta Matuschek verfolgt das Geschehen konzentriert, tippt etwas in ihren Laptop, blättert Akten, flüstert mit ihrem Mitarbeiter. Dann ist die Linken-Abgeordnete dran.
Ob dem Zeugen als Mitglied des BER-Aufsichtsrats jemals Zweifel gekommen seien an der Qualität von Exgeschäftsführer Rainer Schwarz, will Matuschek wissen. Ob er die Äußerungen der Projektsteuerungsfirma zur Kenntnis genommen habe, die 2008 den Zeit- und Kostenplan beim BER als „äußerst knapp“ bezeichnete. „Drang das bis zum Aufsichtsrat vor oder nur bis in die Presse?“ Gekicher im Saal.
Auch Matuschek selbst freut sich über ihren kleinen Witz. Punktsiege wie dieser versüßen das mühselige Geschäft der Aufarbeitung: Kilometer von Akten müssen gewälzt, erinnerungsmüde Zeugen wachgekitzelt, verschüttete Wahrheiten ans Licht gebracht werden – in der Regel der Job der Opposition. So auch am Freitag vor acht Tagen: Die Fragen von Matuschek, Harald Moritz (Grüne) und Martin Delius (Piraten) wirken kenntnisreicher als die der Regierungsparteien. Es hilft nichts: Am Ende bricht Rot-Schwarz die Sitzung ab und vertagt die Befragung des zweiten Zeugen.
„So etwas ist frustrierend“, sagt Matuschek einige Tage später im taz-Café. Die Gründe für den Sitzungsabbruch seien „fadenscheinig“ gewesen. Offensichtlich habe die Koalition die Frage eines möglichen Versagens des Aufsichtsrats nicht weiter vertiefen wollen. Trotzdem: Ein „U-Ausschuss“ ist und bleibt für Matuschek ein wichtiges Instrument der Opposition: Sie kann das Gremium einberufen, Zeugen vorladen und Fragen stellen, bis ihr der Mund abfällt. „Ich mache diese ganze fisselige Arbeit“, sagt die verkehrspolitische Sprecherin der Linksfraktion, „um zu sehen, welche Strukturen nicht funktioniert haben.“ Am Ende kann die Opposition auch ein Minderheitenvotum im Abschlussbericht festhalten, wenn es nötig sein sollte. Beim BER-Ausschuss, vermutet Matuschek, wird es wohl nötig sein.
Entnervt oder frustriert wirkt die 53-Jährige, die seit 1995 im Abgeordnetenhaus sitzt, deswegen nicht. Das sei eben die Aufgabe der Opposition, sagt sie: Die Probleme in der Stadt zu benennen, die Lösungen der Regierung nötigenfalls zu kritisieren, eigene vorzuschlagen. „Entscheidend ist zu zeigen, dass es auch anders gehen kann.“ Der Vorteil an dieser Rollenverteilung: In der Opposition müsse man keine Rücksicht auf Koalitionspartner nehmen, sagt Matuschek, „man kann frei von der Leber weg Ideen entwickeln“.
„Bittere Erfahrungen“
Natürlich schwingen bei Matuschek auch die teilweise „bitteren Erfahrungen“ aus zehn Jahren rot-roter Regierung mit. Man habe damals versäumt, sich mehr mit der SPD über wichtige Themen wie Mieten- oder Liegenschaftspolitik zu streiten. Für die eigene Führung sei es wichtiger gewesen, dass die Koalition geräuschlos agiert. „Wir haben de facto unsere kritische Sicht der Koalitionsdisziplin geopfert.“
Einen unbedingten Willen zum Regieren kann man bei Matuschek nicht erkennen. Nicht nur, weil das „keine mit Vergnügungssteuer belegte Betätigung“ sei und es bei Rot-Rot teilweise zugegangen sei „wie auf dem Basar“. Der Mutter zweier Kinder, die sie allein großgezogen hat, geht es in erster Linie um klassische Aufklärung: Meinungsbildung beeinflussen, Transparenz bei Entscheidungsfindungen schaffen „und so zu besseren Lösungen kommen. Also letztlich zu einer besseren Gesellschaft.“
SUSANNE MEMARNIA