: Asoziales Gemüse
Die Lage der Spargelbauern ist ernst. Deshalb kostet das Kilo weiße Stangen königliche 12 Euro und schmeckt auch dieses Jahr wieder nach nichts
von Benno Schirrmeister
Es ist nicht der erste Spargel. Der erste Spargel war dieses Jahr preislich stramm in Richtung Kaviar unterwegs. Der ist in ordentlicher Qualität schon für 30 Euro das Oz zu haben, der erste Spargel, das war Mitte April, hätte rund 20 Euro gekostet. Wobei zu berücksichtigen ist: Ein Oz sind 28,4 Gramm, bei Spargel misst man in Kilo. Und salzig-zart wie Sprudelblasen auf der Zunge platzende Stör-Eier sind etwas ganz anderes als robuste Stangen, die, wenn sie ordnungsgemäß gekocht wurden, nicht von selbst zergehen. Sondern zu kauen sind. Äpfel, Birnen, Spargel und Kaviar – das alles ist essbar. Aber da hört es mit dem Vergleichen auch schon auf.
20 Euro sind indiskutabel. Zugegeben, zu Saisonbeginn ist das Gemüse immer etwas teurer, aber die Vertriebswege von der Lüneburger Heide nach Hamburg und von Nienburg nach Hannover oder Bremen sind kurz. Außerdem ist das Angebot groß, und Niedersachsen das Spargelanbaugebiet schlechthin. 4.650 Hektar! Ertrag: Fast 24.000 Tonnen! Eine Tonne sind 1.000 Kilo! Ein Milliardengschäft.
Milliardengeschäfte funktionieren nur auf der Basis sowohl billiger als auch zuverlässiger Arbeitskräfte und mit einer hochqualifizierten Spitze, die ruhig etwas mehr verdienen darf. Deshalb spricht der Vorsitzende der Vereinigung der Spargellandwirte nicht wie ein Bauer, sondern wie ein Agrar-Ökonom: „Wir“, sagte Dietrich Paul beim Spargelanstich auf dem Feld zwischen Fuhrberg und Hoya, „gehen innovativ mit dem Strukturwandel um“, und doch sei „die Lage ernst“, weshalb die Politik sie, die Spargellobby, „nicht im Regen stehen lassen“ dürfe.
Womit er gemeint hat: Wir wollen gefälligst unsere polnischen Erntehelfer zurück, aber’n bisschen dalli und zwar zum alten Hungerlohn. Die Bundesregierung hatte festgelegt, dass künftig mindestens zehn Prozent der Erntehelfer Deutsche sein müssen – Hartz IV-Opfer, die sich freiwillig melden. Aber die deutschen Hungerlöhner packen’s nicht – das war das Vorurteil. Und es hat sich, wenn man nicht der Arbeitsagentur-Propaganda glaubt, bestätigt. „Abgesehen von vereinzelten Lichtblicken“, schränkt Spargelverbandssprecherin Sabine Hildebrandt ein. Kaum ein Bauer habe in der Saison „Zeit, die anzulernen“. Also werden die Pflichtdeutschen heimgeschickt, und die 90-Prozentpolen arbeiten für sie mit.
Ursache der extremen Teuerung 2006 ist das aber nicht: Noch im vergangenen Jahr lag der Einstiegspreis bei acht bis neun Euro. Dafür hätte ein Spargelstecher schon zwei Stunden schuften müssen. Heute ist es eine mehr: Auf Großstadtwochenmärkten kostet das Kilo noch runde 12 Euro. Spargel ist immer ein wenig bitter.
Man kommt dennoch nicht umhin, ihn zu verkosten. Es geht darum zu sagen, dass man frischen Spargel gegessen hat. Dabei sind die Augäpfel hinter halbgeschlossenen Lidern zu rollen, mit der Zunge ist über die Lippen zu fahren. Und, nicht vergessen: Ein genüssliches „Hmm!“ hören lassen, „der ist dieses Mal ja sooo gut!“ Unbestreitbar wahr ist: Frischer Spargel ist immer besser als der vom vergangenen Jahr.
Der Zwang zum Spargelessen ist ein rein psychosoziales Phänomen. Es hat nichts damit zu tun, dass der Spargel so gut schmecken würde. Das ist bloß eine Schutzbehauptung, die hilft, das Geschäft aufrechtzuerhalten. Professionelle Gourmets propagieren das auch. Ihr Interesse ist, dass jeder denkt, sie hätten superfeine Zungen, die reiche Aromata-Paletten da ertasten, wo unsereins nur einen wässrig-nussigen Eigengeschmack bemerkt. Und, dass das Pippi danach so komisch riecht – weil den meisten menschlichen Körpern das Enzym für den vollständigen Asparagin-Abbau fehlt. Asparagin ist aber in allen Spargeln drin, in denen aus der Heide, aus der Dose und aus dem Emsland. Und auch in Nienburger Stangen. Die sind dieses Jahr, das allerdings bleibt anzumerken, erfreulich dick geraten.