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Archiv-Artikel

Weight Watching

Radprofi Jan Ullrich steigt am Samstag in den Giro d’Italia ein. Der 32-Jährige ist nach Knieproblemen weit von der Bestform entfernt. Aber das wird schon bis zur Tour de France, glaubt der Rostocker

VON MARKUS VÖLKER

Mit schöner Regelmäßigkeit treten im Frühjahr Deutschlands Diätexperten auf den Plan. Objekt der Begutachtung: Jan Ullrich. Ist er zu proper? Lagert Speck auf den Rippen des Rostockers? Kommt er noch in Form? Wird er die Tour de France vielleicht in diesem Jahr gewinnen? Jan Ullrich, 32 Jahre alt, lässt vor dem Start des Giro d’Italia am Samstag übermitteln, er werde es schon irgendwie packen und eine schnelle Schleife in Frankreich drehen. Für Beruhigung sorgt Ullrich mit solchen Worten nicht, im Gegenteil, er schürt die Skepsis der Experten.

Ullrich wird sie einfach nicht los, die Rolle des Sorgenkindes, des Schlampers, der die Nation zu Weight-Watchern werden lässt und Ferndiagnosen aller Art provoziert, hämische, besorgte und wichtigtuerische. Sicherlich würde die Bild-Zeitung gute Quoten erzielen mit einer täglichen Veröffentlichung von Ullrichs Gewicht – inklusive Body-Mass-Index, der viel verrät über den Verschlankungsprozess. Es heißt, der mehrmalige Tour-Sieger Lance Armstrong habe den gleichen Body-Mass-Index, Körpergröße geteilt durch die Körpergröße zum Quadrat, wie Jan Ullrich gehabt – wenn sich beide in Topform befunden hätten. So oft haben sich die Spitzenradler freilich nicht in körperlicher Kongruenz befunden. Die Zeitdauer der BMI-Gleiche erstreckte sich meist nur über einen Zeitraum von vier Wochen, die Dauer der Tour de France. Danach lebte der eine weiter asketisch, während der andere schwach wurde.

Weil der Deutsche in der Hochphase des Aufbautrainings wegen Knieproblemen pausieren und sein Pensum reduzieren musste, ist Ullrich wieder einmal hinter dem Plan zurück. Er muss beim Giro langsam in Tritt kommen, seinen Körper in kurzer Zeit auf Höchstleistung tunen. „Ich komme aus dem Hinterhalt“, verkündet Ullrich, während T-Mobile-Teamchef Olaf Ludwig meint, der Trainingsrückstand sei nicht mehr als ein Platter am Rad: „Da gibt man doch nicht auf.“ Wäre ja noch schöner.

Ullrich hat sich in den vergangenen Tagen mühsam durch die Tour de Romandie gequält. Durchkommen, lautete die Devise. Der Einstieg in die Saison sei „Hardcore“ gewesen. Ullrich landete abgeschlagen im Feld – auf Platz 115, fast fünfzig Minuten hinter dem Australier Cadel Evans. Der ehemalige Teamkollege ist wie andere Tour-Favoriten schon gut in Schuss. Auch der Spanier Alejandro Valverde muss sich keine Sorgen machen, ebenso wenig wie der Italiener Ivan Basso, Alexander Winokurow oder die Amerikaner Floyd Landis und Levi Leipheimer.

Ivan Basso fährt für den dänischen Rennstall CSC, den Bjarne Riis führt. Riis hat sich auch am Ullrich-Bashing beteiligt und ihm zehn Kilo Übergewicht angedichtet – eine kühne Diagnose, zumal er in der Toskana nur ein paar Sekunden am radelnden Ullrich vorbeifuhr. Seine Erkenntnisse teilte Riis dann der dänischen Postille Berlingske Tidende mit, was Ullrich aber nicht weiter schert. Er wähnt sich trotz des muckernden Knies im Soll. Er kenne seinen Körper, vertraue auf seine Physis und überhaupt seien ihm die Kraftakte vor der Frankreich-Rundfahrt nicht fremd. Auf seiner Website schreibt der Tour-Sieger des Jahres 1997: „Ich zweifle nicht an mir. Ich habe im Winter gut trainiert. Die Grundlage ist da.“

Ullrich war vor Wochen wirklich in einer guten Lage. Der Aufbau in Südafrika lief gut. Er konnte auf ein Team vertrauen, an dessen Zusammenstellung er so aktiv wie nie zuvor mitgewirkt hatte. Erik Zabel, der ihm mit seinen Sprintambitionen bei der Tour immer in die Quere gekommen ist, radelt nun im Team Milram. Und der Kasache Winokurow, ein interner Rivale, fährt jetzt bei der Konkurrenz von Liberty Seguros. Lance Armstrong hatte sich nach Tour-Sieg Nummer sieben ja ganz aus dem Peloton verabschiedet. Was sollte Ullrich nun noch im Wege stehen? Die Antwort kann nur lauten: Er selbst. Oft ist sie erzählt worden, die „Tragödie eines verwöhnten Softies“ (Bunte). Ob er ihr ab dem 1. Juli einen erfolgreichen Epilog anfügen kann, ist offen. Ullrich sieht jedenfalls bei seiner Verletzung höhere Mächte im Spiel, er selbst habe alles richtig gemacht und keineswegs gefaulenzt. Der Welt hat er in einem Interview gesagt: „Ich spüre, dass ich die Tour noch einmal gewinnen kann.“ Die Frage ist nur: Wie verlässlich ist Jan Ullrichs Gespür?