: Lebenslänglich für Zacarias Moussaoui
Der einzige wegen der Anschläge vom 11. September 2001 in den USA Angeklagte wird nicht hingerichtet. Die Geschworenen konnten sich nicht auf ein einstimmiges Todesurteil einigen. Die Staatsanwaltschaft ist enttäuscht, andere sind erleichtert
AUS WASHINGTON ADRIENNE WOLTERSDORF
Die Nachricht war überraschend: Zacarias Moussaoui soll wegen seiner Rolle bei den Anschlägen vom 11. September 2001 nicht hingerichtet werden. Stattdessen forderte am Mittwoch die Jury „lebenslänglich“ für den bisher einzigen Angeklagten in einem US-Prozess zu den Terrorangriffen. Nach Auffassung einiger Jurymitglieder habe Moussaoui nur eine untergeordnete Rolle bei den Vorbereitungen gespielt. Das Urteil schien viele im Gerichtssaal in Alexandria bei Washington zu überraschen. Vor allem die Ankläger aus dem Justizministerium waren erstaunt. Sie hatten in den letzten Wochen den zwölf Jurymitgliedern stets empfohlen, Moussaoui wegen seiner Verwicklungen in die Anschläge zum Tode zu verurteilen. Das Strafmaß soll formal am Donnerstag bekannt gegeben werden.
US-Präsident George Bush begrüßte das Urteil und sagte in einer ersten Reaktion, das Böse sei besiegt worden. „Das Ende dieses Verfahrens schließt diesen Fall ab, aber nicht den Kampf gegen den Terrorismus“, sagte er. „Die Gerechtigkeit wird siegen.“ Der ehemalige Bürgermeister von New York, Rudolph Giuliani, sagte dem Sender MSNBC, er hätte zwar die Todesstrafe vorgezogen. „Aber ich sehe mit Ehrfurcht, wie unser Rechtssystem funktioniert, dass es zu einem solchen Ergebnis kommen kann.“ Einer der Mitarbeiter des Nationalen Sicherheitsrates zum Zeitpunkt der Anschläge, Roger Cressey, zeigte sich enttäuscht. „Ich hätte nichts lieber gehabt, als ihn braten zu sehen“, sagte er. Eine Hinrichtung hätte geholfen, mit den Anschlägen abzuschließen.
Moussaoui selbst nahm das Juryverdikt regungslos betend auf. Richterin Leonie Brinkema verlas laut den entscheidenden Satz: „Wir, die Jury, sind nicht einer Meinung, dass dem Angeklagten die Todesstrafe auferlegt werden soll.“ Gemäß dem US-Bundesgesetz muss die Richterin das von der Jury gefällte Urteil übernehmen. Ein Todesurteil hätte die Jury einstimmig beschließen müssen. Erst Minuten später, als die Richterin bereits den Saal verlassen hatte, rief Moussaoui auf einmal, die Fäuste in der Luft schwingend: „Amerika, du hast verloren. Novak, ich habe gewonnen!“ David Novak ist einer der drei Ankläger. Sie hatten geltend gemacht, Moussaoui sei für den Tod von rund 3.000 Menschen mit verantwortlich gewesen.
Moussaoui, der Marrokaner französischer Staatsbürgerschaft ist, war drei Wochen vor den Anschlägen im September 2001 festgenommen worden. Er hatte sich im April 2005 in sechs Anklagepunkten der Verschwörung schuldig bekannt. Drei davon hätten nach Bundesgesetz ausgereicht, um die Todesstrafe zu erhalten. Während des Verfahrens befanden die Geschworenen zwar einstimmig, dass der 37-Jährige geplant hatte, seinem Gastland größtmöglichen Schaden zuzufügen und so viele US-Amerikaner wie möglich zu töten. Bei ihren siebentägigen Beratungen konnten sie dennoch keine Einigkeit über das Strafmaß erzielen. Die größte Übereinstimmung hatte die Jury hinsichtlich des Umstandes, dass der Angeklagte eine „schwierige Kindheit in einer dysfunktionalen, kranken Familie erlitten habe und deswegen immer wieder in Kinder- und Jugendheimen leben musste“. Drei der Geschworenen erklärten, Moussaoui habe nur geringe Kenntnisse der Anschlagsplanungen gehabt.
Moussaoui selbst hatte während des Verfahrens widersprüchliche Angaben über seine Rolle gemacht. Zuerst erklärte er, für eine zweite Anschlagswelle eingeplant worden zu sein. Später behauptete er hingegen, er habe ein fünftes Flugzeug ins Weiße Haus lenken sollen. Verhaftete Al-Qaida-Kämpfer hatten das für Unsinn erklärt.
Die Reaktionen von Anschlagsopfern und deren Angehörigen waren gemischt. Viele waren enttäuscht über das in ihren Augen zu milde Urteil. Andere zeigten sich dagegen zufrieden. „Er wird den Rest seines Lebens im Gefängnis verbringen, und das ist genau, was dieser Mann verdient“, sagte Carie Lemack, Tochter eines Anschlagopfers. „Er ist ein Möchtegern-al-Qaida und er verdient keine Anerkennung für den 11. September, weil er nicht daran beteiligt war, und ich bin so froh, dass die Jury das erkannt hat.“
Nach Ansicht der Mutter, Aïcha el Wafi, sollte Moussaoui seine Strafe in Frankreich absitzen. Das sagte ihr Anwalt gestern in Paris. Die französische Regierung solle in Washington deswegen intervenieren, forderte er. Moussaoui soll bisherigen Plänen zufolge seine Strafe in einem Hochsicherheitsgefängnis im US-Bundesstaat Colorado ohne Aussicht auf Begnadigung verbüßen.