STEFAN REINECKE ÜBER KONSTELLATIONEN NACH DER WAHL IN NRW
: Kreative Mehrheiten

Wer die Linkspartei auf Regierungskurs bringen kann? Nur der Albtraum der SPD: Lafontaine

Die WählerInnen haben abgestimmt – aber wofür? Es gibt keine Mehrheit für Schwarz-Gelb, keine für Rot-Grün, keine für Schwarz-Grün. Die Parteien dürften dies als Zumutung empfinden. Zu Unrecht. Denn dieses Votum hat seine eigene Logik und Klugheit.

Dass die Wähler Schwarz-Gelb nicht wollten, war absehbar. Und Rot-Grün? Vor ein paar Monaten war diese Koalition noch tot. Ihre Wiederauferstehung wäre ein zu großes und zudem ein unverdientes Wunder gewesen. Dass es auch für Schwarz-Grün nicht reicht, kann man als Quittung für das allzu clevere Doppelspiel von CDU und Grünen verstehen. Nach außen gingen beide demonstrativ auf Distanz, um ihre Stammwähler nicht zu irritieren – insgeheim war Schwarz-Grün längst beschlossene Sache. Das war dann doch zu tricky, um belohnt zu werden.

Die Regierungsbildung wird nun kompliziert. Es ist sogar möglich, dass es, wie in Hessen, ein langes Patt gibt, und mangels neuer Regierung CDU und FDP ohne Mehrheit erst mal im Amt bleiben. Aber zum Jammern gibt es keinen Grund. Die Parteien müssen sich eben an knappe Ergebnisse gewöhnen. Das Fünfparteiensystem ist, mit der Linkspartei im Düsseldorfer Landtag, fest etabliert. In diesem System sind knappe Ausgänge immer möglich – und Zweierbündnisse wie Rot-Grün oder Schwarz-Gelb werden seltener. Die Parteien müssen geschmeidiger und mutiger werden, sie müssen improvisieren lernen – alles Eigenschaften, die im starren bundesrepublikanischen Parteiensystem selten gefragt waren.

Zur Ironie der Situation in NRW gehört, dass, neben der großen Koalition, offenbar nur das unwahrscheinlichste aller Bündnisse bleibt: Rot-Rot-Grün. Dabei spricht viel für diese Koalition. In landespolitischen Kernbereichen – der Schul- und Energiepolitik oder der Entschuldung der Kommunen – gibt es mehr Verbindendes als Trennendes. Der Gewerkschaftsflügel der Linkspartei um Wolfgang Zimmermann meint es ernst mit dem Regieren. Die Grünen dürften nun ihr Herz für Rot-Rot-Grün entdecken – was eingedenk der Tatsache, dass sie sich seit Monaten innerlich mit Schwarz-Grün angefreundet hatten, eine interessante Wendung ist. Und auch das ist eine Pointe der Geschichte: Wenn jemand die flatterhafte Linkspartei in NRW auf Regierungskurs bringen kann, dann der Albtraum der Sozialdemokraten: Oskar Lafontaine.

Allerdings verbindet Hannelore Kraft wenig mit dem Projekt Andrea Ypsilantis. Sie vertritt kein ökosoziales Reformprogramm. Ihre Wandlung von der Agenda-2010- und Clement-Anhängerin zur mittig-linken Sozialdemokratin verlief geschmeidig. Sie misstraut der Linkspartei zutiefst – und selbst wenn sich dies ändern würde, wäre offen, ob sich die geistig immobile Ruhrgebietssozialdemokratie mit Rot-Rot-Grün arrangieren könnte. Außerdem würde Rot-Rot-Grün von der erste Sekunden an unter Dauerfeuer der Medien in NRW stehen. Unmöglich ist Rot-Rot-Grün nicht. Nur fehlt bislang das Entscheidende: der Mut der SPD, ein Risiko einzugehen und die realpolitische Wandlung der Linkspartei zu forcieren.

So wird Rot-Rot-Grün wohl das Gespenst bleiben, das die SPD in dem anstehenden Machtspiel mit der CDU gelegentlich herumspuken lässt. Auch die Ampel, von der die rechte SPD träumt, wird gelegentlich ins Spiel gebracht werden. Doch um die zum Leuchten zu bringen, müsste die FDP in der Bildungspolitik alles revidieren, was sie in den letzten fünf Jahren getan hat.

So läuft alles auf eine große Koalition hinaus. Jürgen Rüttgers, der schon halb Zurückgetretene, dürfte kein allzu großes Hindernis sein. Aber auch ohne Rüttgers wird dies ein harter Kampf. Die Fraktionen von CDU und SPD sind gleich stark. Beide wollen sich nicht mit der Rolle des Juniorpartners bescheiden. Den Sozialdemokraten hat die Bundestagwahl 2009 gezeigt, wie übel dies für sie endet.

Möglich wäre eine israelische Lösung: eine Hälfte der Legislatur regiert Hannelore Kraft, die andere Armin Laschet oder wer auch immer. Allerdings ist die hiesige politische Klasse zu konventionell für solche Ideen. Aber auch Realpolitik muss, damit überhaupt noch etwas funktioniert, kreativer werden. Das kann ein Ergebnis dieser Wahl sein: gar nicht schlecht.

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