Feierabend für Kinderarbeiter

Weltweit ist die Kinderarbeit um 11 Prozent zurückgegangen. Trotz klarer Erfolge streiten Experten, ob es armen Kindern ohne Arbeit wirklich besser geht

VON TARIK AHMIA

Weltweit ist die Zahl der Kinder, die ihre Zeit mit schlecht oder überhaupt nicht bezahlter Arbeit und ohne Schulbildung verbringen, um 28 Millionen zurückgegangen. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie der Internationalen Arbeitsorganisation ILO, die gestern in Berlin vorgestellt wurde.

Insgesamt mussten im Jahr 2004 218 Millionen Kinder zwischen fünf und 15 Jahren für ihr Überleben arbeiten. Das war jedes siebte Kind auf der Welt. 126 Millionen dieser Kinder mussten Arbeiten übernehmen, die die ILO als „gefährlich“ wertet, weil sie sich schädlich auf die Sicherheit und Gesundheit von Minderjährigen auswirkt. Hier war der Rückgang der Kinderarbeit mit 26 Prozent besonders erfolgreich, beispielsweise in indischen Steinbrüchen oder bolivianischen Zinnminen.

Die ILO bewertet die Bekämpfung der Kinderarbeit vor allem als ein Erfolg internationaler Kooperation. Seit 1992 setzten sich 86 Nationen im Rahmen eines eigenen Programms für die Beseitigung der Beschäftigung von Minderjährigen ein. Obwohl etwa 70 Prozent der Kinderarbeit in informellen Bereichen der Wirtschaft stattfinden, gebe die Studie die Ausbeutung von Kindern treffend wieder, sagt ILO-Sprecher Klaus Günther: „Wir verwenden die gleichen repräsentativen Stichproben wie bei der ersten Untersuchung vor vier Jahren.“ So lassen sich die Zahlen mit denen aus dem Jahr 2000 vergleichen. Aus diesem Vergleich zieht die ILO eine mutige Prognose: Das Ende der Kinderarbeit ist zum Greifen nah. Schon in zehn Jahren sollen die schlimmsten Formen der Kinderarbeit beseitigt sein.

Die Zuversicht wird nicht überall geteilt: „Die Einschätzung der ILO ist sehr optimistisch, wenn nicht gar unrealistisch. Wir können keine deutlichen Erfolge feststellen“, sagt Barbara Dünnweller von der Kindernothilfe. Sie glaubt nicht an das Ende der Kinderarbeit.

Kinderarbeit sei besonders in Afrika und Südostasien nach wie vor sehr verbreitet. Allein in Indien gebe es 50 Millionen Kinderarbeiter. Bei eigenen Untersuchungen in Sambia, Kenia und Äthiopien hat die Kindernothilfe keinen Rückgang festgestellt. Klaus Günther von der ILO räumt ein, dass Kinderarbeit in den Ländern südlich der Sahara tatsächlich zugenommen hat. „Dafür gibt es aber große Erfolge in Lateinamerika“ (siehe Kasten).

Allerdings hat der Rückgang der offiziellen Kinderarbeit in Lateinamerika neue Probleme mit sich gebracht, wendet Barbara Küppers ein. „Dort gibt es großen Unmut, weil die Abschaffung der Kinderarbeit viele Minderjährige in die Illegalität getrieben hat“, sagt die Sprecherin von Terre des Hommes. Dahinter steht ein Dilemma: So einig sich ILO und NGOs in dem Ziel sind, Kinderarbeit zu beseitigen, so unterschiedlich ist der jeweilige Weg dorthin. Die ILO will mit ihrem internationalen Vorgehen ausbeuterische Kinderarbeit mit Hilfe der nationalen Regierungen möglichst unmittelbar verbieten lassen. „Sonst können die Kinderarbeiter dem Teufelskreis aus Ausbeutung und fehlender Bildung nie entfliehen“, sagt Klaus Günther von der ILO. Für ihn ist das Verbot von Kinderarbeit ein Stück Armutsbekämpfung. „Voraussetzung ist natürlich, dass die Regierung wirklich etwas gegen Kinderarbeit unternehmen will.“ Das Verbot müsse mit Sozialprogrammen für die Kinder und Familien unterstützt werden. Dass auf diese Art schon in zehn Jahren die schlimmsten Formen der Kinderausbeutung im Sexgewerbe und in der Armee abgeschafft sein sollen, ist Barbara Küppers von Terre des Hommes jedoch zu wenig: „Zehn Jahre sind eine Kindheit lang.“ Sie fordert statt Verboten, die Rechte der Kinderarbeiter zu stärken und diese Rechte in eine Strategie zur Armutsbekämpfung einzuflechten. Wichtig sei es auch, ihnen Zugang zu Bildung zu geben. „In Peru ist das mit der Manthoc Initiative gelungen.“ Dort werden Kinder, die mit Straßenverkauf ihren Lebensunterhalt verdienen, durch den Verein so unterstützt, dass sie das Beste aus ihrer Lage machen können: dazu gehören Beratungen, um den Preis der Produkte zu steigern, sowie Bildungsangebote, die die Straßenverkäufer auch tatsächlich annehmen können.

„Diese Kinder tauchen in keiner Statistik auf“, kritisiert Küppers die Zahlengläubigkeit der ILO. „Ihre Situation wird sich nicht durch Verbote schlagartig verändern lassen. Sie lässt sich aber schon heute durch pragmatische Hilfe verbessern.“