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Archiv-Artikel

Zahlen auf schwankendem Grund

EROSION Fruchtbare Böden gehören zu den wichtigsten Ressourcen – aber viele werden versiegelt oder von Wind und Wasser abgetragen. Auf globaler Ebene gibt es allerdings kaum verlässliche Daten

Global Soil Week

■ Ist unsere Zukunft „Bodenlos?“ Diese Frage diskutieren von Montag bis kommenden Donnerstag rund 400 Teilnehmer aus 68 Ländern beim Kongress „Global Soil Week“ in Berlin. Das Umweltforschungsinstitut IASS lädt zusammen mit verschiedenen UN-Organisationen, dem Umweltbundesamt und anderen zur weltweiten Bodenwoche ein. Die Global Soil Week findet zum zweiten Mal statt. Auf der Veranstaltung soll nach Lösungen für das Problem weltweiter Bodenvernichtung gesucht werden.

BERLIN taz | 24 Milliarden Tonnen fruchtbaren Bodens gehen jährlich durch Erosion verloren.

Diese Zahl nutzt das Potsdamer Umweltforschungsinstitut IASS (Institute for Advanced Sustainability Studies), um auf das Problem globaler Bodenverluste hinzuweisen. Das Umweltbundesamt (UBA) sieht weltweit ein Drittel der Böden durch Degradierung bedroht, UN und EU nennen ähnliche, aber doch andere Zahlen. Diese jeweils so konkreten Angaben stehen selbst auf eher wackeligem Boden. „Das sind natürlich Pi-mal-Daumen-Zahlen“, sagt Jes Weigelt, Bodenfachmann des IASS. Auf globaler Ebene seien genauere Daten über das Ausmaß von Bodenverlusten nicht verfügbar.

Messungen dauern oft mehrere Jahre und liefern nur Ergebnisse für die entsprechende Region. Deshalb arbeiten Wissenschaftler mit Modellen, die unterschiedliche Ergebnisse liefern können.

Eine Möglichkeit besteht zum Beispiel darin, Satellitenbilder auszuwerten, die Veränderungen der Landnutzung aufzeichnen, etwa die Umwandlung von Wäldern oder Wiesen in Äcker. Diese Daten werden ergänzt durch lokale Fallstudien.

Die Geschwindigkeit des Bodenabtrages lässt sich auch feststellen, indem etwa das Vorkommen von Cäsium gemessen wird, das bei oberirdischen Atomwaffenversuchen zwischen 1957 und 1967 eingebracht wurde. Der Verlust des Cäsiums gebe Hinweise auf den Bodenverlust, erklärt Weigelt. Es bestehe aber ein großer Forschungsbedarf.

Schließlich ist es schwierig, nationale oder gar globale Gesetze zum Schutz des Bodens durchzusetzen, wenn das Ausmaß des Problems nicht klar benannt werden kann. Dies ist eines der Themen, die auf dem Fachkongress „Global Soil Week“ diskutiert werden, der am Montag in Berlin beginnt. Immer klarer hingegen wird die wichtige Rolle der Böden. Sie dienen nicht nur dazu, Nahrungs- und Futtermitteln sowie Pflanzen anzubauen, aus denen Energie oder Produkte erzeugt werden. Böden filtern und speichern auch Wasser – und sind nach den Ozeanen der zweitwichtigste Kohlenstoffspeicher der Erde. Eine international rechtsverbindliche Regulierung zum Schutz von Böden gibt es aber nicht, sagt Knut Ehlers, wissenschaftlicher Mitarbeiter am UBA. Zwar betreffen verschiedene Konventionen, etwa zum Schutz der Biodiversität oder gegen Wüstenbildung, auch den Boden. Aber ein Regelwerk, in dessen Mittelpunkt der Schutz der Ressource Boden stünde, fehlt – und ist laut Ehlers politisch derzeit auch kaum durchsetzbar.

Das zeigt das zähe Ringen um eine Bodenschutzrichtlinie auf EU-Ebene. Seit Jahren liegt ein Vorschlag der Kommission dazu auf Eis, blockiert unter anderem von der Bundesregierung, aber auch von Großbritannien und Frankreich. Sie sehen in dem Thema keine grenzüberschreitende Aufgabe, unterstützt von der Agrarlobby. Die Landwirte schützten den Boden als wichtigste Produktionsgrundlage zielführender, meint etwa der Deutsche Bauernverband.

Messungen sind langwierig und nur für die jeweilige Region gültig

Nun will Kommissionspräsident Manuel Barroso den Entwurf der Richtlinie im Rahmen seiner Initiative zum Bürokratieabbau ganz zurückziehen. Dagegen wehrt sich bislang noch sein Umweltkommissar Janez Potočnik, und Umweltverbände kritisieren Barrosos Ankündigung. Sie verweisen darauf, dass nur in wenigen Staaten Europas Boden gesetzlich geschützt ist.

Laut IASS-Experte Weigel ergreifen etwa nur wenige EU-Staaten aktive Maßnahmen, um vergiftete Böden zu finden. „Das heißt, eine verschmutzte Fläche kann das Trinkwasser verunreinigen, ohne dass dies erfasst wird“, so der Wissenschaftler. Eine europäische Regelung würde die Lage in diesen Ländern verbessern. HEIKE HOLDINGHAUSEN