: Gitarre statt Internet
Fernseher und PC gehören nicht ins Kinderzimmer, warnt Kriminologe Christian Pfeiffer. Pädagoge Stefan Aufenanger sieht auch Vorteile. Ein Expertenstreit zur Frage, wie viel Medien braucht ein Kind
von Kaija Kutter
Grad sechs Jahre ist es her, dass die Internet-Branche einen Fachkräftemangel beklagte. Der damalige Bundeskanzler wollte eine Greencard für indische Programmierer einführen und Schulen, Kitas wie Eltern wurden angehalten, den Nachwuchs möglichst früh an die Welt der Computer heranzuführen. „Das war ein schöner Irrtum“, sagt der Hannoveraner Kriminologe Christian Pfeiffer heute. Pfeiffer fand nach der Befragung von 6.000 Grundschülern aus elf Städten heraus, dass sich der frühe Medienkonsum schlecht auf die Schulleistungen auswirkt. Aus Kindern, die früh mit der Maus klicken, werden also nicht unbedingt Programmiergenies.
„Wie viel Medien braucht das Kind?“ lautete der Titel einer Podiumsdiskussion, zu der die Bürgerstiftung Hamburg und der Verlag Gruner & Jahr Pfeiffer in dieser Woche eingeladen hatten, um gemeinsam mit anderen Experten wie dem Mainzer Medienpädagogen Stefan Aufenanger herauszufinden, wie eine richtige Mediennutzung aussieht. Man könne am Wohnzimmertisch mit den Kindern mal „googeln“. Aber „Fernseher und Computer gehören keinesfalls in Kinderzimmer“, warnte Pfeiffer und lieferte eindrucksvolle Zahlen.
Die höchste Mediendichte hat Dortmund. Dort haben 63 Prozent der zehnjährigen Jungs einen eigenen Fernseher und 56 Prozent eine Spielkonsole im Zimmer, während in München nur 27 Prozent über dieses Equipment verfügen. In der Folge sitzen die Dortmunder Jungen pro Schultag 3,3 Stunden vor den Geräten, die Münchner nur 1,8. Während von den Dortmundern 30 Prozent eine Empfehlung für das Gymnasium bekommen, ist es in München jeder Zweite.
Der Medienkonsum wirkt sich direkt auf Noten aus, wie Pfeiffers Studie zeigt. So waren deutsche Jungen aus gutsituierten Familien mit Gerät im eigenen Zimmer in Mathe fast eine Note schlechter als die ohne Fernseher. Auch das bessere Abschneiden der Mädchen in der Schule, die mittlerweile 57 Prozent der Abiturienten stellen, führt der Kriminologe auf deren kleineren Medienbesitz zurück.
Bei türkischen Familien, wo Jungen „verwöhnte kleine Prinzen“ seien, so Pfeiffer, führe dies dazu, dass 18 Prozent der Mädchen, aber nur 13 Prozent der Jungen die begehrte Gymnasialempfehlung bekämen. „Das macht Eindruck“, so Pfeiffer, dessen Zahlen die Hürriyet kürzlich brachte: „Die türkischen Eltern denken, sie tun ihren Kindern was Gutes, dabei halten sie die Jungen massiv vom Lesen ab.“
Doch während Pfeiffer jetzt auf plakative Aufklärung setzt und in Oldenburg einen Versuch mit 1.000 Grundschülern startet, bei dem eine Hälfte der Eltern seine Warnungen erfährt und die andere nicht, mahnt Medienpädagoge Stefan Aufenanger zu mehr Gelassenheit. Es sei schwierig, so „imperialistisch zu denken, wir sollten diese Familien heilen“. Fernsehen habe in vielen Familien eine wichtige Funktion. „Es bricht Krieg aus, wenn man den einfach wegnimmt.“
Statt dessen müsse die Funktion des Fernsehens in einer Familie zunächst analysiert und die Familie selbst mit ihren Stärken und Schwächen betrachtet werden, schlägt Aufenanger vor. Diese Aufgabe könne die sozialpädagogische Familienhilfe übernehmen. Generell sollten Eltern eine „schwebende Aufmerksamkeit“ über die Mediennutzung ihrer Kinder haben und ihnen einen kompetenten Umgang mit dem Angebot beibringen. Aufenanger: „Dazu gehört auch, Medien genießen zu können und zu wissen, dass man mal bewusst glotzt, um zu entspannen.“
In den neuen Medien sieht Aufenanger sogar eine „Bereicherung für die Kinder“. Habe doch keine Generation vorher die Option gehabt, sich derart „leicht selbst Informationen zu beschaffen“. Eine Studie von ihm mit 130 Kindern aus Hessischen Kitas, in denen Computer stehen, habe ergeben, dass die Kleinen weder übermäßig viel Zeit vor den Kisten sitzen noch sich deren Einsatz negativ auswirkt.
Pfeiffer ist da anderer Ansicht. Kinder sollten lieber so jung nicht ins Internet, sondern besser ein Instrument lernen und musisch gefördert werden. „Was wir wirklich brauchen, ist die Kindergärtnerin, die Gitarre spielen kann.“ Auch belegten Studien, dass Eltern ihrem Kind gerade dann einen PC schenken, wenn sie sehen, dass es in der Kita ein Gerät teilen muss.
Auf die Frage der taz, wie die Computerindustrie auf seine Thesen reagiere, antwortete Pfeiffer: „Sehr verstört.“