: Sex und Gewalt (Vorsicht, Falle!)
POLITISCHE COLLAGE Die kenianische Künstlerin Wangechi Mutu zeigt im Deutsche Guggenheim raffinierte Collagen: Ausschnitte aus Modemagazinen, Pornos und biologischen Lehrbüchern kombiniert sie zu figurativen Szenen
VON MARCUS WOELLER
Collage hat ihre große Zeit längst hinter sich. Nachdem Hannah Höch und John Heartfield die künstlerische Technik nutzten, Zeitungsfotos und druckgrafische Abbildungen ihren ursprünglichen Kontexten zu entreißen und zu neuen Sinn- und Bildzusammenhängen zu arrangieren, um in dadaistischer Revolte die Umbrüche nach dem Ersten Weltkrieg zu kommentieren, hat höchstens noch Martha Rosler die Technik ikonologisch gewinnbringend einsetzen können. Sie thematisierte Ende der 1960er-Jahre in ihrer eindringlichen Serie „Bringing the War Home: House Beautiful“ den Vietnamkrieg. Seitdem fristet die Collage ein degradiertes Dasein, in Kunstleistungskursen und vorschulischen Bastelstunden oder voll digitalisiert und von sich selbst entfremdet im Photoshop. Von einer ordentlichen Professur für Collage und Montage hat man jedenfalls noch nicht gehört.
Neue ästhetische Dimension
Die kenianische Künstlerin Wangechi Mutu beweist mit ihrer Ausstellung „My Dirty Little Heaven“ im Deutsche Guggenheim Berlin nicht nur, dass Fotomontage immer noch ein Medium mit dezidiert politischer Aussagekraft ist. Sie haucht dem antiquiert analog erscheinenden Papier-Schere-Klebstoff-Spiel eine neue ästhetische Dimension ein.
Wangechi Mutu collagiert Ausschnitte aus Modezeitschriften, Pornomagazinen und biologischen Lehrbüchern zu brisant figurativen Szenen geschundener Körper und fragender Gesichter, aber auch zu fast abstrakten Ornamenten. Mit einer meisterhaften Aquarelltechnik verbindet sie die gefundenen Fotos zu einer durchkomponierten Einheit und erweitert die flache Bildebene durch eingearbeitete Pflanzenteile und Plastikperlen zum Relief. Mutu experimentiert mit Röntgenfilm und transparenter Polyesterfolie als Trägermaterialien und schreckt sogar vor eingeklebtem Glitzerstaub nicht zurück. Schönheit, Kitsch und Ekel sind Qualitäten, mit denen sie ganz kalkuliert arbeitet.
Auf dem Umweg über die oberflächliche Faszination an der Materialität und der virtuosen Technik zieht sie die Betrachter in ihre Sujets von Sex und Gewalt hinein, legt dabei aber intelligent und listig Fallen, in die niemand mehr tappen will, der sich für einigermaßen aufgeklärt und mit kritischer Wahrnehmung ausgestattet hält. Mutu spielt mit dem voyeuristischen Blick, haut uns die Afrika-Klischees um die Ohren, konfrontiert uns mit Stereotypen, die längst nicht überwunden sind. Erst durch die in Grazie verborgene Drastik der Dinge, die wir sehen, werden sie wirklich sichtbar auf der durch mediale Reizüberflutung schon längst verhornten Netzhaut.
Mutu geht es eben nicht um die Rückkehr zu einer konservativen Schönheit in Harmlosigkeit, sondern zur radikalen Revision unserer Sehgewohnheiten. Okwui Enwezor, künstlerischer Leiter der Documenta 11, bringt es auf den Punkt. „Mit ihrem Übermaß an neoethnografischen und sexualisierten Inhalten standen Mutus verschlüsselte, widerspenstige Bilder nackter Körper in Widerspruch zum Zulässigen.“
Kolonial geprägte Vorurteile
Das galt nicht nur für ihre frühen Collagen, mit denen Mutu nach Abschluss ihres Studiums an der School of Art der Universität von Yale vor zehn Jahren auf der Bildfläche auftauchte, sondern gilt auch für ihre zweite Ausstellung in Europa. Denn das hiesige Publikum ist vielleicht weniger prüde, was die freizügige Darstellung von Nacktheit angeht, aber von Chauvinismus und immer noch kolonial geprägten Vorurteilen keineswegs frei.
Mutu kann nicht deshalb mit den Klischees von Exotismus, Physiognomie, Folklore und den Stereotypen der schwarzen Frau so ungeniert hantieren, weil sie eine schwarze Frau ist. Sie tut es, weil sie über die regelrechte Verarbeitung dieser Klischees einer Identität Selbstbewusstsein verschaffen will, die sich zwar ihrer Herkunft, sei sie nun ethnisch oder sozial definiert, bewusst ist, sich aber lieber kollektiv und demokratisch äußert.
In ihren Collagen stehen für diesen Kampf der Identität und Identifizierung durch andere „Kriegerinnen“ ein. Heroische Frauen- und Tierfiguren, die mal arcimboldoesk aus Versatzstücken massenmedialer Herkunft zusammengesetzt sind, mal in schillernde Wasserfarblachen zerfließen.
Die Wandarbeiten fügen sich in der Ausstellung in eine den gesamten Raum füllenden Installation, die von einem großen Tisch aus Leichenbahren beherrscht wird, über dem Wein- und Milchflaschen hängen. Ein Pfeiler zitiert Joseph Beuys und wächst als mächtiger Baumstamm aus dem Filz von Versorgungsdecken in die Luft.
Gegenüber läuft das Video „Mud Fountain“ als Dokumentation einer Performance. Selbst die Wände sind einer Farbbehandlung unterzogen worden und sehen aus, als hätte bis vor kurzem Hochwasser in der Halle gestanden. Mit diesen Mitteln der Installation weitet Wangechi Mutu die Collage in die Dreidimensionalität aus. Mit Zitaten statt Zeitungsschnipseln und Erinnerungen statt Fotomontagen.
■ Wangechi Mutu: „My Dirty Little Heaven“. Bis 13. Juni 2010, Deutsche Guggenheim, www.deutsche-guggenheim.de