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Archiv-Artikel

Dämonische Dialektik

MUSIK Was ist „böse Musik“? Bei einem Symposium im Haus der Kulturen der Welt gab es Stolpermärsche und Voodoo-Trommeln zu hören, es war von Nazirock und Mafia-Rap die Rede – und von tödlicher Stille

Vielleicht müssen wir uns Luzifer als einen von Gott genervten Teenager vorstellen

VON TIM CASPAR BOEHME UND THOMAS MAUCH

Das Böse lauerte überall. Selbst auf den Toiletten war es zu hören im Haus der Kulturen der Welt (HKW) mit Voodoo-Trommeln, denen man gern mal einen dämonischen Klang nachsagt. Vielleicht allerdings sollten diese einen auch nur zu der Frage anstacheln, ob man denn nach seinen Verrichtungen dort artig die Hände gewaschen hat.

Vier Tage lang umkreiste man im HKW mit „Oden an Gewalt, Tod und Teufel“ den Begriff „böse Musik“ – und ging der Frage nach, ob man sich überhaupt einen Begriff davon machen kann. Dietmar Dath stellte dabei am Donnerstag in seiner Keynote eingangs die Gretchenfrage: „Gibt es böse Musik?“

Dabei nannte der Autor und FAZ-Redakteur verschiedene Einwände gegen die Kategorie „böse Musik“ – etwa, dass sich jede Musik dazu verwenden lasse, um Menschen zu foltern. Dath wollte das aber nicht so stehen lassen. Vielmehr ergebe sich aus dem Umstand, dass Musik keine Sprache ist, die sich eindeutig entziffern lässt, eine Ambivalenz, die ein generelles Misstrauen hervorrufe: Wenn Musik nicht lesbar und damit jenseits von gut und böse ist, ist sie dann nicht automatisch böse? Der Exkurs ins Außermoralische wurde mit kurzen Stationen bei Nietzsche und Wagner abgerundet, die im „Jenseits von Gut und Böse“ der Kunst einen Ausdruck ihrer Verweigerung jeglichen Zweckes außerhalb ihrer selbst sahen.

Auch die Behauptung, Musik könne überhaupt nicht böse sein, sondern es seien vielmehr die Menschen, die böse sind, hielt Dath für falsch. Denn Musik, die von bösen Menschen für böse Menschen gemacht werde, müsse auch in irgendeiner Form diesem Zwecke dienen. Eine der Eigenschaften böser Musik bestehe gerade darin, dass Leute sie bewusst mögen, weil sie anderen auf die Nerven geht.

Umgekehrt beharrte Dath darauf, dass die bewusste Verwendung faschistischer Symbole nicht in jedem Fall als Zeichen von böser Musik zu betrachten sei: Wenn solche Musiker – wie es im nationalsozialistischen Black Metal mitunter vorkommt – zudem noch die deutsche Frau und die Bratwurst retten wollten, wie Dath ironisch anmerkte, handle es sich um echte Weltverbesserer – wenn auch schwer irregeleitete. Böse Musik hingegen wolle die Welt nicht verbessern, sie genüge sich in der Suspendierung des Guten und der Geste der Verweigerung. Dabei stellte Dath eine direkte Verbindung zwischen dem Teufel und der Pubertät her: Luzifers „Non serviam“ – „Ich werde nicht dienen“ – sei eine ähnlich ablehnende Haltung wie die von Jugendlichen, bei denen die Einübung in Ordnung und Gehorsam durch Zimmer aufräumen, Hausaufgaben machen, den Müll runterbringen, irgendwann zum trotzigen Nein führen könne. Vielleicht müssen wir uns Luzifer als einen Teenager vorstellen, der von Gott echt schwer genervt ist.

In Vorträgen, Diskussionsrunden, musikalischen Einlassungen und einem Film- und Ausstellungsprogramm ging es im weiteren Verlauf hingegen um Muik, die weitestgehend dem Teenagertrotz entwachsen ist. Um schnell immer wieder festzustellen, dass sich die Antworten darauf, was denn nun das Böse sei, in einem steten Wandel begriffen sind. Dass beispielsweise im Lauf der Zeit jedes Instrument mal als böse verteufelt wurde, ließ Ebba Durstewitz in ihrem launigen Vortrag „Böse Instrumente“ wissen. Selbst die Harfe wollte man mal als dämonischen Klangerzeuger betrachten.

Verwiesen wurde auf die Möglichkeit, Schall als Waffe einzusetzen, und dass es recht üble Frequenzen gibt, die dem Ohr schlicht wehtun. Immer wieder wurde als besonders aggressionsfördernde musikalische Maßnahme das Schlagen der Trommel ausgemacht – ein Mittel der Kriegsführung, bereits im 16. Jahrhundert gewissenhaft auf Notenblätter notiert. Was wiederum zu den Märschen führte, die nicht zuletzt das Marschieren angenehmer machen sollten.

Beim Auftritt des Bundespolizeiorchesters Berlin, vom Dirigenten Arend zu Hoene als „Sympathieträger einer uniformierten Organisation“ vorgestellt, war zu hören, dass so ein Marsch einen schon musikalisch mitreißen kann – etwa von Verdi, Wagner und vor allem von Mauricio Kagel. Von dem waren „10 Märsche, um den Sieg zu verfehlen“ zu hören: stolpernde und über sich zweifelnde Angelegenheiten, mit sich hadernd – aber unzweifelhaft Märsche.

Und nicht jeder Marsch – auch das wurde festgehalten – sollte geradewegs in die Schlacht führen. Immer wieder stand so im HKW die Frage nach den Intentionen im Raum. Als am leichtesten aushandelbarer Nenner fand sich die Position, dass Nazirock mit seinem Aufhetzen gegen andere überhaupt nicht gehe, während die Verherrlichungslieder etwa der Mafia oder bei den Drogenballaden der mexikanischen Narcocorridos schon irgendwie okay seien, wenigstens ihr Sammeln und Bewahren als Teil einer Kultur.

Von „Reichsparteitagsgefühlen“ bei Fangesängen war die Rede oder bei großen Popkonzerten, von schmerzvollen, „bösen“ Klängen als Mittel der Katharsis oder von Kaufhausmusik, die der Horror sein kann.

Bei der Gesprächsrunde „Schöne böse Welt“ verwies der Autor Michael Farin schließlich auf die als richtig böse gehandelten Taliban und dass die am liebsten gar keine Musik haben wollen. Und so richtig in der Hölle schmorrt man, wenn überhaupt nichts mehr zu hören ist. Keine Musik, kleine Klänge. Nichts. So eine permanente Stille hält der Mensch gar nicht aus.