: Offen und möglichst hierarchiefrei
SCHULARCHITEKTUR In Deutschland fehlt es nicht nur an Geld für Schulrenovierungen – es gibt auch nur wenige Ideen für Gebäude, die neue Lernformen ermöglichen. Ein Blick nach Skandinavien und Japan könnte helfen
AUS BERLIN ROLF LAUTENSCHLÄGER
Sie sind zurück. Weil in Berlin immer mehr Nachwuchs in die Schulen drängt und die Kapazitäten zu sprengen droht, müssen Kinder wieder in Schulgebäude, die gar keine sind: nämlich in Container. Unterricht in der Blechkiste – das erinnert stark an die Zeiten der Bildungsreform in den 1970er Jahren.
Damals symbolisierten die „modularen Ergänzungsbauten“ die Bildungsexpansion und die Pädagogik der sozialliberalen Koalition. Sie standen für Aufbruch, einerseits. Für provisorische Mangelverwaltung, andererseits. Und sie standen den wuchtigen Schulburgen aus der späten Gründerzeit gegenüber: das große Portal, die historisierende Fassade, Klassenzimmer, eine nach Schweiß riechende Turnhalle. Ein Gebäude, das Ordnung, Disziplin, Wissen und Fleiß ausstrahlt. Schulpolitik ist immer auch eine Frage der Architektur.
Wo sind die Konzepte?
Aber wie sieht sie aus: die Schule von heute? Wie sind sie, die Orte, an denen das Lernen gelingen kann?
Es ist nicht alles gut im deutschen Schulbau. Es mangelt an Investitionen, Qualität und Fortschritt. Viele Schulen sind heruntergekommen, den Kommunen mangelt es an Geld und an Konzepten, sie zu modernisieren. In Deutschland gibt es aktuell für zirka 9 Millionen Schülerinnen und Schüler rund 47.000 allgemeinbildende Schulen. Nicht einmal ein Zehntel davon wurden seit dem Jahr 2000 neu geplant, renoviert oder erweitert.
Und selbst die Neubauten bleiben doch recht klassisch: In Berlin etwa realisierte die Landesregierung nach dem Fall der Mauer das größte Schulbauprogramm nach dem Zweiten Weltkrieg.
Viele der Schulen, wie beispielsweise das 1997 eröffnete Barnim-Gymnasium in Berlin-Hohenschönhausen oder die 1999 eingeweihte Athene-Grund- und Europaschule in Berlin-Steglitz, sind stolz auf ihre Campusstruktur, darauf, dass sich Kita, Hort und Klassenzimmer unter einem Dach befinden. Es gibt schöne Klassenräume, breite Flure, Gemeinschaftseinrichtungen, einen grünen Pausenhof. Und dennoch gibt es starre Klassenzimmer, alle 45 Minuten beendet die Pausenglocke den Unterricht.
Es sind Gebäude, die einem Schulalltag entsprechen, den es schon vor 100 Jahren gab. Man muss lange suchen, wenn man in Deutschland Beispiele finden will für eine wegweisende Schularchitektur.
Dennoch: Zarte Pflänzchen im Schulneubau gibt es, wie jüngst die Fachzeitschrift Bauwelt mit dem Titel „Die gute Schule“ und die neue Ausgabe der deutschen bauzeitung mit dem Schwerpunkt „Bauen für Kinder“ ausgelotet haben.
Vorbild Skandinavien
Ein „neues Baukonzept für neue Lernziele“ spiegelt sich etwa in der neuen Münchner Grundschule am Arnulfpark, die 2007 von den Architekten Hess, Talhof und Kusmierz gebaut wurde: Sie besteht aus vier aufgereihten, doppelgeschossigen flexiblen und multifunktional nutzbaren Lernhäusern.
In jedem der Lernhäuser gibt es Klassenzimmer und gemeinschaftlich genutzte Räume wie Musik-, Werk- oder Theaterräume – und eigene Pausenhöfe. Die Idee dahinter: Die große Schulgemeinschaft wird in vier kleinere getrennt.
Doch die wirklich innovativen baulichen Schulkonzepte liegen im Ausland, vornehmlich in Skandinavien, aber auch in Luxemburg oder in Japan. Was dabei auffällt: Es ist nicht unbedingt die Form der Gebäude, die sich wandelt. Ob Zentralbau oder Pavillonensemble: Es gibt beides. Der eigentliche Wandel findet im Innern statt. Räume werden offener, Mauern, Türen verschwinden, die Hierarchien lösen sich auf. Ähnlich wie beim Schulneubau zur Zeit der Bildungsreform in Deutschland.
Das Ørestad-Gymnasium in Kopenhagen, entworfen vom dänischen Büros 3XN, setzt auf ein komplett offenes Konzept. Die fast 1.000 Schüler und rund 100 Lehrkräfte arbeiten fast ohne Klassenzimmer. Von außen gleicht die Schule einem Würfel, „mit architektonischen Mitteln wird die Schule innen zu einem Großraum, in dem verschiedene Unterrichtsformen gleichzeitig praktiziert werden können“, beschreibt der Architekturkritiker Allan de Waal das Konzept. Insbesondere über die vierstöckige Megagalerie verteilt – ein „Multi-Foyer“, das an gigantische Shoppingmalls erinnert – finden in zylindrischen Großräumen die Unterrichtseinheiten statt. Neben ein paar Klassenzimmern mit Glaswänden „gibt es nur Gruppenbereiche, die Offenheit, Sichtbarkeit, Bewegungsfreiheit“ zulassen. Die Schüler werden so zum Mitmachen animiert.
Wechselnde Bereiche
Die Ringstabekk Skole in Oslo der Architektengruppe Div. A Architekten ist ähnlich wegweisend. 360 Jugendliche besuchen die Schule, die ihren Schwerpunkt in Musik, Tanz und Drama hat. Dem fügt sich auch die Architektur: In höher und tiefer gelegten Fluren kann man von einem Lernbereich zum anderen wechseln. So bleibt die Schule offen – und trotzdem wird keine Theatergruppe durch herumlaufende Schüler gestört.
Die Idee, das große Schulkollektiv in überschaubare Gruppen zu unterteilen, findet sich auch in Oslo: Jede Lerngemeinschaft hat ihre eigene Basis, an die unterschiedliche Lernräume angedockt sind – offene Lernbereiche, Gruppenräume und Hörsäle, in denen Lehrerteams unterrichten.
Erwähnenswert ist auch die Grundschule im japanischen Uto, entworfen vom Büro Coelacanth CAt und 2010 fertiggestellt. Sie ist zwar in einem ganz traditionellen Betonblock untergebracht, doch in ihrem Innern ist sie fast mauerlos. Ein riesiger Großraum, darin viele Stellwände. Aus ihnen können immer wieder aufs Neue Lernbereiche gebaut werden. So wird ein Maximum an Beziehungen geschaffen.
Manches scheint angesichts unserer Bildungskultur fremd. Und ob sich innovative Schultypen auch bei uns durchsetzen, wird von den Kultusministern der Bundesländer und dem Reforminteresse an neuen Lernmodellen abhängen.
Behnisch in Dachau
Gleichwohl kann der Schulbau Veränderungen mit antreiben. Auch das zeigt der Blick in die Geschichte: Denn die Zeit der Bildungsreform war nicht nur von schnell aufgestellten Containern geprägt – sie war auch ein Aufbruch in der Schularchitektur. Demokratischer sollte die Schule werden, weniger hierarchisch: ein neues Gegenmodell zur Schulburg.
Viele Architekten setzten in den 1960er und 1970er Jahren Maßstäbe durch schöne Gebäude, gläserne Fassaden, Transparenz im Innern, Enthierarchisierung durch Gruppen- und Gemeinschaftsräume, Foren und Landschaftsplanungen für den Pausenhof.
Ein großer Schulbaumeister dieser Zeit war Günter Behnisch, der vor allem durch den Olympiapark samt Stadion für die Münchner Sommerspiele 1972 bekannt wurde. 1974 entwickelte Behnisch für das Josef-Effner-Gymnasium im benachbarten Dachau eine Choreografie offener Grundrisse und Räume.
Offen, transparent, möglichst hierarchiefrei: Die Architektur spiegelte auch den Zeitgeist der damaligen Pädagogik wider. Wer die Schule betritt, schreitet durch einen großen gläsernen Pavillon. Es gibt freistehende Treppen, die zu den Klassenräumen führen, dazu oft kreisförmige Auditorien.
Diese Form bildete für Behnisch das „Ideal für die Gemeinschaft“ – auch wenn die Gemeinschaft selbst nur versuchen konnte, sich dem Ideal anzunähern. Kein Lehrer könnte das besser formulieren.