: Viele White Cubes in der Black Box
Meta-Kino: Mit ihrer Installation „Bioskop“ entdecken der Videokünstler Lillevan, der Komponist Zeitblom und die Architekten Christian Fuchs und Jörg Lammers die mögliche Zukunft des Filmeschauens als einen Ausflug in die früheste Kinogeschichte
Im Ausstellungsraum „Kubus“ des Tesla im Podewil’schen Palais hängen, gegeneinander versetzt, sechzehn weiße Quader unterschiedlicher Größen in der Mitte des Raumes. Wäre die Saalbeleuchtung an, hätte man eine hübsch rhythmisierte, minimalistische Plastik vor sich und mehr nicht. Aber es ist finster und das „Bioskop“, ein multimediales Gemeinschaftswerk des Videokünstlers Lillevan, des Komponisten Zeitblom und der Architekten Christian Fuchs und Jörg Lammers, ist weder Skulptur noch Licht noch Ton, sondern alles zusammen: eine „begehbare Installation“, Meta-Kino als Medienkunstwerk, eine mögliche Zukunft filmischer Rezeption als Ausflug in die früheste Kinogeschichte.
Die Quader dienen als Projektionsflächen der filmischen Installation. Augenfälliger kann man das hier veranstaltete Zusammentreffen von Kunst und Kino wohl kaum arrangieren: lauter kleine White Cubes in einer umfassenden Black Box. Selbst die weißen Sitzbänke korrespondieren mit den an dünnen Drähten aufgehängten Leinwand-Elementen, die mitten im Raum zu schweben scheinen. Auch ohne Projektion geht von den Quadern eine Art überirdisches Schimmern aus. Unwillkürlich wird man an Kubricks enigmatischen Monolithen aus „2001“ erinnert, eine genauere Referenz wären allerdings die Aufführungspraktiken des Expanded Cinema.
Doch anders als sich etwa ein Maurice Lemaître dies gewünscht hätte, kommt es bei der „Bioskop“-Vernissage trotz Andrangs nicht zu Gedrängel, Konfettiwerferei oder Schüssen auf die Leinwand. Statt Tumult herrscht stille Ergriffenheit, als Zeitblom und drei Mitmusiker die Filmkomposition live aufführen. Offenbar sind doch noch nicht alle Grenzsteine zwischen den Künsten abgeschliffen. Konzert, das heißt immer noch: Sitzen und Zuhören.
Vor und nach der Live-Performance, die Soundbegleitung kommt dann von Band, herrscht die Situation „Kunst“, das heißt: Alle dürfen Herumlaufen, sich zu den Bildern in wechselnde Beziehungen setzen. Denn wer sitzen bleibt, verpasst das Eigentliche. Niemals hat man alles im Blick, umherlaufend muss jeder Besucher seine eigenen Multiperspektiven zusammensetzen, eine Collage aus einer Collage von Bildern. Manche trauen sich, nicht nur drumherum, sondern auch mittendurch zu gehen, durch die Spalten zwischen den Leinwänden zu schlüpfen. Schlank muss man sein dafür und darf keine Berührungsangst vor Kunst haben.
Vom gleichnamigen Projektionsapparat der Kinopioniere Skladanowsky ist das Tesla-„Bioskop“ weit entfernt: keine knatternde Mechanik und flackernde Vorführung, sondern kleinteilig am Computer gesampelte Filmfragmente aus über 130 Filmen werden parallel projiziert. Zu Beginn glühen auf der Leinwand zwei Projektorenlampen in so hellem Weiß auf, dass man beinahe reflexhaft versucht, seine Augen davor zu schützen. Dann folgt Ruhe, pulsierende Lichtpunkte wie Reflexionen auf einer Wasseroberfläche.
In der ersten Hälfte dominiert Dunkelheit, nur hier und dort erscheinen amorphe Lichtflecken wie unscharfe Nachbilder auf der Netzhaut. Allmählich taucht Figuratives auf: Außenaufnahmen von Gebäuden, Treppen, eine Hand am Türgriff, ein Stillleben mit Blumenvase, die Silhouette eines Berges am Horizont. Nichts davon bleibt lange, es sind tastende Erkundungen ins Repertoire filmsprachlicher Konventionen, eher gefühlte als gewusste Eindrücke von Gestalten.
Die Filmfragmente werden als Rohmaterial und nicht als Zitat verwendet, es gibt keine Filmgeschichte zu bewundern, sondern eine liebevolle Neugier auf die Wirkungen von Helligkeit, Dunkel und Chemie: Selbst sinnfreies Vorlaufmaterial oder völlig zersetztes Filmmaterial darf hier seine Schönheit entfalten. Wer möchte, kann gleich mehrere Entwicklungsgeschichten erkennen: eine etwa der Filmfarben, von den schwarzweißen Anfängen, über die Mühen der manuell viragierten Frames bis zu einem ausgeblichenen Technicolor. Oder gleich einen kosmischen Schöpfungsmythos: Feuer, Wasser, Himmel und Erde, den Weg vom Dunkel ins Licht der reinen Helligkeit. Und dann gibt es noch Effekte, die ihre Zufälligkeit gegen jede lineare Logik behaupten: Streulicht, Widerschein der Projektionen auf Oberflächen im Raum, eine diffuse Luminosität auf den Rückseiten der Leinwände.
In diesen Momenten wird das „Bioskop“ wirklich zu einer „lebendigen Schau“. Für Lillevan ist jedenfalls auch nach der Eröffnung die Arbeit am Werk nicht zu Ende – er sieht die Installation als ein work in progress, das noch manche Entwicklungen durchlaufen wird. Zur Abschlusspräsentation am Samstag, 13. Mai, um 23 Uhr, werden Zeitblom und Orchester noch einmal live auftreten. DIETMAR KAMMERER