Antira-Demo mit Staatsschutz

Eine Demonstration am 2. November erinnert an die Opfer der NSU-Mordserie und prangert den alltäglichen Rassismus an – der Staatsschutz fragt nach

„NSU-Terror: Nazis und Staat Hand in Hand – Das Problem heißt Rassismus!“

■ Samstag, 2. November Start: 12 Uhr, Platz der Luftbrücke (Tempelhof), die Route führt zum Brandenburger Tor

buendnisgegenrassismus.org

Die Leute vom Antirassismusprojekt ReachOut haben schon einige Demonstrationen angemeldet – aber dass sich daraufhin gleich der Staatsschutz bei ihnen meldet, ist neu. „Die haben sogar mehrmals angerufen“, erzählt Sanchita Buso, Aktivistin und Mitarbeiterin der in der Oranienstraße ansässigen Beratungsstelle für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. Der Grund: Buso hat eine Demonstration für den 2. November angemeldet, die unter dem Motto „NSU-Terror: Nazis und Staat Hand in Hand – Das Problem heißt Rassismus!“ an die Enttarnung der rechtsextremen Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) vor zwei Jahren erinnern und auf alltäglichen Rassismus aufmerksam machen will (12 Uhr Platz der Luftbrücke, Tempelhof bis Brandenburger Tor). Veranstalter ist das Bündnis gegen Rassismus, das sich aus mehr als 100 Initiativen zusammengeschlossen hat.

Am 4. November 2011 verfolgte die Polizei im thüringischen Eisenach zwei mutmaßliche Bankräuber. Sie setzten ihr Wohnmobil in Brand und brachten sich dann um; nur wenige Stunden später ging ein Wohnhaus in Zwickau in Flammen auf: Erst nach und nach kam heraus, dass beide Ereignisse in Zusammenhang standen und sie das mutmaßliche Ende der rechtsradikalen Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) bedeuteten – zu der es noch heute zahlreiche offene Fragen gibt. Der Aufruf zu der Demonstration am 2. November formuliert diese Fragen offen – vermutlich interessiert sich der Staatsschutz deshalb für sie. „Aktenvernichtungsskandale, verschleiernde NSU-Debatte im Berliner Innenausschuss, nicht hinterfragte Wahrnehmung des NSU als Trio, lügende Beamt_innen vor Untersuchungsausschüssen und vieles mehr zeigen, dass es von Seiten des Staates keinen Aufklärungswillen gibt“, kritisiert das Bündnis gegen Rassismus in dem Aufruf. Auch Sprecherin Sanchita Basu misstraut der öffentlichen Version der Ereignisse: „Ohne Hilfe vom Staat wäre das nicht möglich gewesen, dass Nazis 13 Jahre lang aus dem Untergrund arbeiten“, sagt Basu. „In Zeitungen lesen wir täglich, wie viele Möglichkeiten es gab, sie auffliegen zu lassen. Keiner kann sich vorstellen, dass die drei das alleine gemacht haben.“ Auch an der Darstellung des Endes des Terrortrios meldet Basu Zweifel an: „Ich glaube nicht, dass es Suizid war.“ Jemand müsse Interesse daran gehabt haben, den NSU genau vor zwei Jahren auffliegen zu lassen.

Hauptkritikpunkt der Demonstration ist allerdings der Umgang der Polizei mit den Opfern in den Jahren zuvor. „Uns ärgert vor allem, dass die Familien von der Polizei kriminalisiert wurden.“ Die Ermittler dachten sich das Schlagwort „Döner-Morde“ aus und verdächtigten die Mörder, Teil einer vermeintlichen türkischen Mafia zu sein, machten die Opfer somit zu Tätern und säten Misstrauen unter den trauernden Angehörigen.

„An diesem Polizeivergehen hat sich bis heute wenig geändert“, sagt Sanchita Basu. „Die tägliche Praxis ist: Der Täter wird befragt, nicht die Opfer.“ Im Aufruf zur Demo ist die Rede von „Deutschlands massivem Rassismusproblem“, das durch den NSU-Skandal offenbar geworden sei.

Nicht aufgrund von Versäumnissen oder Fehlverhalten Einzelner sei der NSU so lange unerkannt geblieben, sondern weil die Ermittlungen von rassistischen Denkmustern geprägt waren: „Institutioneller und struktureller Rassismus sind Alltag in Deutschland. People of Color, Schwarze, Menschen mit Migrations- und Kolonialgeschichte, Geflüchtete und Illegalisierte sind immer wieder rassistischer Willkür durch Behörden ausgesetzt“, heißt es.

Sanchita Basu kennt das von ihrer Arbeit. ReachOut berät und begleitet Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, macht auch Bildungsarbeit in Schulen, Hochschulen und Vereinen. Dabei erlebt Basu immer wieder, wie etwa Lehrer die Verwendung des „N-Worts“ verteidigen. „Täglich erlebe ich verfestigte Vorurteile. Im Alltag hat sich für People of Colour und Menschen mit Migrationshintergrund nichts geändert.“ Auch darauf soll die Demonstration am 2. November aufmerksam machen.

Die Sache mit dem Staatsschutz ist für Sanchita Basu eher unwichtig: „Ich war erstaunt, dass sie anrufen und nicht der zuständige Polizeibeamte.“ Der Staatsschutz fragte, wer an der Demo teilnehmen werde, welche Gruppen, und ob auch Linksextreme dabei sein werden und ob ReachOut so viele Mitglieder habe wie angemeldet.

„Ich musste denen erst mal erklären, dass von den tausend erwarteten Demonstrierenden nicht alle Mitglieder bei uns sind“, sagt Basu. „Das ist doch eine ganz normale Demonstration!“ Genau deswegen beunruhigt sie die Intervention des Staatsschutzes auch nicht. „Wir fanden das nicht schlimm. Eher lustig – und ein bisschen lächerlich.“ MALTE GÖBEL