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Archiv-Artikel

Europaweit gegen die Politik von Europa

Das vierte Europäische Sozialforum in Athen hat Militäreinsätze und neoliberale EU-Politik kritisiert

BERLIN taz ■ Mit Kritik an den politischen Gremien der Europäischen Gemeinschaft ist gestern das vierte europäische Sozialforum (ESF) in Athen zu Ende gegangen. Die Versammlung der globalisierungskritischen sozialen Bewegung wende sich „gegen die neoliberalen Attacken“ gegen Beschäftigung, Arbeitnehmerrechte, den Wohlfahrts- und Sozialstaat, heißt es in der Abschlusserklärung, die bei Redaktionsschluss noch diskutiert wurde.

Beim Sozialforum hatten etwa 15.000 Teilnehmer seit Donnerstag in mehr als 200 Seminaren über soziale Gerechtigkeit, Entwicklungspolitik, Umweltprobleme, Gleichberechtigung und Friedenspolitik debattiert. Aus Deutschland hatten sich etwa 400 Personen beteiligt, meist aus Nichtregierungsorganisationen wie dem globalisierungskritischen Netzwerk Attac oder Gewerkschaften.

Allerdings war bei den vorangegangenen Sozialforen das kritische Potenzial deutlich größer. So berieten sich auf dem dritten Sozialforum 2004 in London noch 50.000 Aktivisten. Attac-Sprecher Stephan Lindner erklärt dazu allerdings, dass die Teilnehmerzahl in Griechenland schon deshalb hinter der des letzten Forums liege, weil „die soziale Bewegung in Griechenland kleiner ist“. Traditionell kämen die meisten Teilnehmer aus dem Veranstalterland. Erfreut zeigt er sich über eine neue Qualität in den Seminaren. „Statt um ablehnende Parolen ging es um echte Alternativen.“ Die Versammlung habe dem neoliberalen Modell der EU ein anderes Europa gegenübergestellt, sagte Lindner. Demnach solle die EU offen, friedlich, sozial gerecht und solidarisch sein.

Falls es einen neuen Anlauf für eine EU-Verfassung gebe, wolle die soziale Bewegung daher eigene Ideen einbringen, sagte Katja Kipping, stellvertretende Bundesvorsitzende der PDS. Dazu müssten die Globalisierungskritiker aber in Europa enger zusammenarbeiten. Auch werde man weiterhin gemeinsam gegen Militäreinsätze in Iran, Irak und Afghanistan demonstrieren, etwa beim Besuch des US-Präsidenten George W. Bush am 14. Juni in Deutschland.

Bereits am Samstag hatten in Athen zehntausende gegen den Irakkrieg und einen potenziellen Angriff auf den Iran demonstriert. Nach Angaben der Veranstalter hatten sich 70.000 Demonstranten an dem Marsch beteiligt, die Polizei sprach von 15.000 Teilnehmern.

Am Ende des Protestzugs kam es zu schweren Ausschreitungen zwischen einigen Demonstranten und der Polizei. Dabei warfen rund 250 vermummte Jugendliche aus dem anarchistischen Spektrum Molotow-Cocktails und Steine auf Polizisten und zertrümmerten im Zentrum Fensterscheiben von zahlreichen Banken, Hotels und Geschäften. Die Polizei war nach eigenen Angaben mit 8.000 Sicherheitskräften im Einsatz und setzte Tränengas ein. Ein Reporter berichtete auch von mehreren Schüssen, die ein Polizist abgefeuert habe.

Konkrete Pläne für Ort und Zeit des nächsten Europäischen Sozialforums gibt es bisher nicht. Neben Städten in Deutschland und Österreich wurde Brüssel als möglicher Kandidat diskutiert; voraussichtlicher Termin: Anfang 2008.

CHRISTIAN HONNES