: Warten auf den „richtigen“ Streik
An der Kölner Uniklinik freuen sich die streikenden Verdianer: Jetzt ist das Wetter mit ihnen. Die Ärzte planen einen echten Ausstand – wenn die Arbeitgeber nicht nachgeben
KÖLN taz ■ Gerade kommt das Mittagessen rein, vor dem Zelt kloppen einige Frauen Skat. Das Streikcamp vor der Uniklinik in Köln wirkt fast wie ein kleines Ferienlager. Um 5.45 Uhr beginnt ein Streiktag. Später geht es in die Stadt zum Unterschriftensammeln. Im Streikzelt laufen den ganzen Tag lang Kurse in Reanimation, Vorträge oder Musik. An diesem Tag kommt Klaus der Geiger. Der Kölner Politbarde gibt mit seiner Band Maximum Terzett ein kleines Open-Air-Konzert. So macht Streiken Spaß.
Als der Arbeitskampf an der Kölner Uniklinik begann, war es noch eisig kalt. „Wir hätten vor vier Monaten nicht gedacht, dass wir so lange streiken“, sagt Regine Weiß-Balschun. Die 43-jährige Krankenschwester ist sonst freigestellte Personalrätin. Als Mitglied der Streikleitung sorgt sie jetzt dafür, dass sich alle in die Streiklisten eintragen, die im Ver.di-Zelt ausliegen. Wer sich einträgt, bekommt Streikgeld. Und vielleicht bekommen alle einen Tarifvertrag, wenn die Arbeitgeber nachgeben.
Denn dafür – und für gleiche Arbeitsbedingungen – wird an den sechs Unikliniken von Nordrhein-Westfalen gestreikt. Auch das Land Nordrhein-Westfalen hat den mühsam erhandelten Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst schlicht nicht übernommen. „Seit 2004 werden Kollegen mit 41 Wochenstunden statt bisher 38,5 eingestellt“, empört sich Weiß-Balschun. Urlaubsgeld bekämen sie gar nicht, Weihnachtsgeld nur reduziert.
150 sind es heute, die sich in die Listen eingetragen haben – bei insgesamt rund 3.500 Beschäftigten. Das klingt nicht nach großer Teilnahme. Die Gewerkschafter relativieren die Zahl: Viele müssten arbeiten, trotz Streik, erklärt Weiß-Balschun. Um Patienten nicht zu gefährden, seien mit der Klinikleitung Notdienstvereinbarungen ausgehandelt worden. Auch Nacht- und Wochenenddienste müssten gemacht werden. „Es ist etwas ganz Besonderes, in einem Krankenhaus zu streiken.“
Im Erdgeschoss der Uniklinik sieht es gar nicht nach Streik aus. Patienten besuchen die Leihbibliothek, Ärzte und Schwestern rennen über die Gänge. Nur einige Plakate weisen auf den Arbeitskampf hin. Die Ärzte streiken nur Anfang der Woche, also nicht an diesem Donnerstag. Es sei schon ein „merkwürdiger Streik“, bei dem auch gearbeitet werde, scherzt Wilko Sander.
Der 33-jährige Arzt arbeitet normalerweise auf Etage 17 in der Unfallchirurgie. Hier geht nichts mehr. Die 36 Betten sind leer, die Türen sogar mit Klebeband versiegelt. Die Klinik hat die verbliebenen 17 Patienten auf andere Stationen verteilt. Zwei Millionen Euro Verlust in der Woche macht die Klinik nach eigenen Angaben wegen des Streiks.
Die Klinikärzte streiken zwar zeitgleich, aber nicht gemeinsam mit den Ver.di-Krankenschwestern, sondern erheben ganz eigene Forderungen. Nicht nur in Köln, auch bundesweit klagen die Klinikärzte über zu lange Arbeitszeiten bei zu geringer Bezahlung. „Mein trauriger Rekord liegt bei 100 Stunden in einer Woche“, erzählt Sander.
Besonders störten ihn die Bereitschaftsdienste. Manchmal sei man über 24 Stunden am Stück im Krankenhaus. „De facto wird durchgehend gearbeitet“, erzählt er. „Das ist zusätzlich erbrachte Arbeit, die kaum honoriert wird.“ Wehmütig erinnert er sich an seine Studienzeit. „Da war es noch lukrativ, am Wochenende zu arbeiten.“ Inzwischen verdiene er sonntags weniger als wochentags.
Wilko Sander streikt übrigens selbst nicht, weil er noch in der Probezeit ist. Aber er ist kürzlich in den Berufsverband der Klinikärzte, den Marburger Bund, eingetreten. Prächtige Mitgliederzuwächse hat dem Marburger Bund der Streik beschert. Erst der Ärztestreik habe die Uniklinik so richtig getroffen, sagt Sander. Als Ver.di noch alleine streikte, hätten die übrigen, auch die Ärzte, ganz normal weitergearbeitet.
Wobei es im benachbarten Düsseldorf genau umgekehrt gewesen sei: Da hätten die Ärzte nicht mehr viel ausrichten können, weil Ver.di schneller war. Im Ver.di-Streikzelt wird dieser Einschätzung nicht widersprochen. „Dadurch, dass die Ärzte gestreikt haben, haben auch mehr Krankenschwestern mitgestreikt“, sagt Regine Weiß-Balschun.
„In der Anästhesie ist die Hälfte des Personals im Streik“, berichtet zum Beispiel Martina Kanis, die dort Krankenschwester ist. „Dort streiken alle, die dürfen“, sagt ihre Kollegin Birgit Draht. „Und es werden immer mehr.“
Wenn nötig soll der Streik noch ausgeweitet werden. Die Ärzte haben in einer Vollversammlung beschlossen, ab dem 15. Mai eine Woche am Stück zu streiken. „Das wäre dann ein ‚richtiger‘ Streik“, lacht Sander. Auch Ver.di will weiter streiken. „Die Unikliniken dürfen GmbHs gründen, warum sollen sie keine Tarifverträge abschließen dürfen?“, fragt Regine Weiß-Balschun.
Der Sommeranfang kommt den Streikenden gerade recht. „Wir streiken weiter, bis wir einen Tarifvertrag haben“, sagt Weiß-Balschun entschieden, „jetzt ist ja auch das Wetter dafür.“ DIRK ECKERT