piwik no script img

Archiv-Artikel

„Leid ist nicht gottgewollt“

MUSLIMINNEN Hamideh Mohagheghi und Armina Omerika gehören zur neuen Islamkonferenz, die am Montag erstmals wieder tagt. Ein Gespräch über Gleichberechtigung und Schnaps, Partisaninnen und die Ehe

Das Gespräch

 Der Anlass: Die Deutsche Islam Konferenz (DIK) trifft sich am Montag zum ersten Mal in neuer Besetzung. Sie ist das wichtigste Dialogforum zwischen Vertretern des deutschen Staates und den rund vier Millionen Muslimen, die in Deutschland leben.

■  Das Treffen: Eines der Hauptthemen der DIK soll nach Willen von Innenminister Thomas de Maizière (CDU) die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau sein. Die taz sprach darüber mit zwei der Teilnehmerinnen, die keinem der großen Verbände angehören.

■  Die Teilnehmerinnen: Hamideh Mohagheghi (55) ist im Iran geboren und studierte in Teheran Jura. In Hamburg kam ein Studium der islamischen Theologie dazu. Die gläubige Muslimin ist Mitbegründerin des Frauennetzwerks Huda, Vorsitzende der Muslimischen Akademie in Deutschland und Lehrbeauftragte für islamische Theologie an der Universität Paderborn. Sie ist verheiratet und hat zwei Töchter. Armina Omerika (33) ist in Mühlheim/Ruhr geboren, in Mostar/Bosnien-Herzegowina aufgewachsen und lebt seit ihrem 14. Lebensjahr wieder in Deutschland. Die Islamwissenschaftlerin, die derzeit an der Universität Bochum arbeitet, praktiziert ihre Religion nicht, versteht sich aber als Muslimin. (sam)

INTERVIEW SABINE AM ORDE

taz: Frau Mohagheghi, Frau Omerika, Sie sind beide erstmals in der Islamkonferenz vertreten. Der Bundesinnenminister will dort als eines von drei großen Themen über Gleichberechtigung reden. Haben Sie Gesprächsbedarf?

Hamideh Mohagheghi: Ich persönlich? Nein! Aber in traditionellen, islamischen Familien gibt es Frauenbilder, die innerislamisch stark einer Diskussion bedürfen. Armina Omerika: Allerdings. Aber meine persönlichen Erfahrungen sind auch andere. Ich komme aus Bosnien-Herzegowina, aus einem säkularen Umfeld, und unter dem Einfluss der Kommunisten war das Thema Gleichberechtigung der Geschlechter nie ein Problem. Im meiner Familie gibt es eine Linie von starken Frauen, die aus traditionellen Rollenmustern herausfallen, meine Großmutter zum Beispiel war Partisanin im Zweiten Weltkrieg. Aber in einem größeren Umfeld gibt es schon bestimmte Erwartungen, die eine Frau erfüllen soll.

Welche?

Omerika: Dass sie beispielsweise schnell heiraten und Kinder kriegen – und am besten auch noch gleichzeitig berufstätig sein soll. Aber das ist nicht unbedingt eine religiöse Erwartung. Und unterscheidet sich gar nicht so sehr von den Vorstellungen konservativer, deutscher Familien.

Mohagheghi: Meine Mutter ist mit 36 Jahren Witwe geworden, wir sind fünf Kinder. Aus finanziellen Gründen war klar, dass die Mädchen so schnell wie möglich heiraten sollten. Meine älteren Schwestern haben mit 16 geheiratet, ich war die jüngste und sollte das auch. Dagegen habe ich mich gewehrt. Ich wollte weiter zu Schule gehen und studieren.

Wie haben Sie sich durchgesetzt?

Mohagheghi: Ich habe die vorgeschlagenen Bewerber abgelehnt, und nach und nach musste meine Mutter das akzeptieren. Ehen wurden im Iran ja vermittelt, aber man hatte die Möglichkeit, Nein zu sagen. Das ist der Unterschied zur Zwangsehe.

Omerika: Als ich nach Deutschland gekommen bin, hat mich jemand gefragt, ob ich versprochen bin, und ich hatte keine Ahnung, was das bedeutet. Arrangierte Ehen, Zwangsehen oder auch Polygamie kenne ich aus der bosnischen islamischen Tradition nicht. Ich beobachte sogar unter Bosniaken in Deutschland oft, dass Eltern wollen, dass ihre Töchter zur Schule gehen, studieren, Berufe erlernen, aber die Mädchen verzichten darauf, um mit 18 oder 19 zu heiraten.

Frau Mohagheghi, Sie tragen ein Kopftuch – hat das irgendetwas mit dem Thema Gleichberechtigung zu tun?

Mohagheghi: Für mich nicht. Ich bin mit Kopftuch aufgewachsen, ich fühle mich damit wohl. Ich hatte diese Phasen, habe es mal abgesetzt, dann wieder aufgesetzt. Aber ich persönlich halte das Kopftuch nicht für ein religiöses Gebot, wie manche das tun. Diese Aussage im Koran, dass Frauen, übrigens auch Männer, sich bedecken sollen, kann man unterschiedlich interpretieren. Wenn das Kopftuch als religiöse Pflicht verstanden wird, sagt man: Die Frauen, die kein Kopftuch tragen, begehen eine Sünde. Das ist für mich problematisch.

Wie sehen das Ihre Töchter?

Mohagheghi: Sie tragen beide kein Kopftuch, die ältere ist mit einem Deutschen verheiratet. Wir haben immer gesagt, wir leben etwas vor, aber die Kinder sollen selbst entscheiden, wie sie ihr Leben gestalten wollen. Als Eltern wünscht man sich natürlich, dass die Kinder den gleichen Weg gehen, vor allem wenn man davon überzeugt und damit glücklich ist. Emotional ist es nicht immer einfach, wenn sie sich anders entscheiden.

Omerika: Ich trage ja kein Kopftuch, aber von Freundinnen weiß ich, was auch wissenschaftliche Untersuchungen belegen: dass die Motive, warum muslimische Frauen das Kopftuch tragen, vielfältig sind. Und es ärgert mich, dass das meist außer Acht gelassen wird und nur von Zwang und Unterdrückung die Rede ist.

Frau Mohagheghi, haben Sie schon einmal negative Erfahrungen gemacht, weil Sie ein Kopftuch tragen?

Mohagheghi: Nach dem 11. September gab es schon komische Blicke, aber angesprochen oder gar angegriffen worden, wie es anderen passiert ist, bin ich nicht. Ich hatte ja das Glück, dass ich als Erwachsene nach Deutschland gekommen bin und fertig studiert hatte, ich musste mir nicht auf dem freien Markt einen Praktikumsplatz oder eine Arbeit suchen. Da höre ich immer wieder von Problemen.

Omerika: Wie das Kopftuch wahrgenommen wird, hängt auch davon ab, wo man ist. Im Ruhrgebiet ist es das normalste der Welt, aber in Erfurt in Thüringen, wo ich zwei Jahre gearbeitet habe, passiert es, dass eine Frau mit Kopftuch ein Taxi von der Arbeit nach Hause nimmt, weil sie sich nicht sicher fühlt. Übrigens glaube ich, dass sich die Mehrheitsgesellschaft nicht besonders dafür interessiert hat, ob muslimische Frauen unterdrückt werden, solange sie als Fabrikarbeiterinnen oder Putzfrauen gearbeitet haben. Aber als sie angefangen haben, Rechte für sich zu beanspruchen, zum Beispiel als Lehrerin, da wurde es ein Thema.

Mohagheghi: Und es ist gut, dass das – und der Islam überhaupt – endlich ein Thema ist. Nur die Ansätze sind manchmal schlecht: Man geht von Sicherheit und Terror aus, theologische Diskussionen werden viel zu wenig geführt.

Omerika: Es wird doch schon lange über den Islam geredet, nur haben die Muslime wenig über sich selbst gesprochen. Dass sie jetzt an diesen Diskussionen teilnehmen, ist positiv, auch wenn das noch lange nicht ausreicht. Aber in welchen Zusammenhängen diskutiert wird, ist schwierig. Entweder es geht um Gewalt oder darum, dass der Islam nicht mit westlich-aufgeklärten Gesellschaften kompatibel ist. Da ist natürlich sehr viel Ignoranz und Unkenntnis im Spiel gegenüber den Reformen, die es ja seit mindestens einem Jahrhundert im Islam gegeben hat. Auf der anderen Seite führt das häufig zu einer apologetischen Haltung und einer gewissen Verklärung des Islams unter den Muslimen. Die Weise, wie die Muslime den Islam gelebt haben, ist ohnehin viel lockerer als die religiösen Vorschriften. In Bosnien-Herzegowina kann ein Mann, der regelmäßig sein Gebet verrichtet, durchaus Schnaps trinken.

Mohagheghi: Man kann den Koran eben unterschiedlich verstehen. Es gibt Muslime, die das Alkoholverbot nicht absolut sehen. Sie sagen, dass der Nachteil des Alkohols ist, dass man im berauschten Zustand Dinge tut, die nicht menschenwürdig sind. Aber ein Glas ist okay. Der Koran ist ein Offenbarungsbuch, das in einem historischen Kontext entstanden ist. Nicht alle Inhalte sind in ihrem äußeren Wortlaut auf heute zu übertragen. Es ist die ewige innere Botschaft, die erfasst werden muss.

Omerika: Aber was macht man mit einem Moslem, der sagt: Dieses Buch gilt wortwörtlich für immer? Ich habe solche Debatten mit meinem Vater, der dann sagt: Aber es steht so im Koran. Und wenn in den Familien Gewalt gegen Frauen und Mädchen religiös begründet wird, dann dürfen wir das nicht leugnen.

Mohagheghi: Da hilft nur Bildung, auch religiöse Bildung. Huda, unser Netzwerk für muslimische Frauen, bietet seit 1997 telefonische Beratung für Frauen an; in dieser Arbeit erfahren wir immer wieder, dass noch eine Menge zu tun ist, um die Frauen davon zu überzeugen, dass es nicht gottgewollt ist, dass sie leiden. Diese Vorstellung, dass sie durch das Leid auf dieser Welt einen Platz im Paradies erwerben, hält sie davon ab, über ihr Leben zu entscheiden. Das muss aus den Köpfen raus.

Omerika: Diese Debatte müssen wir innerislamisch führen.

Mohagheghi: Da passiert schon einiges. Bei uns in Hannover gibt es seit 20 Jahren eine Frauengruppe. Manche der Frauen haben es vor einigen Jahren nicht gewagt, ihre Meinung zu sagen. Heute können sie – mit theologischer Begründung – auch zu ihren Männern mal Nein sagen, wenn von ihnen etwas erwartet wird, das weniger mit der islamischen Lehre, sondern mit einer bestimmten islamischen Kultur zu tun hat.

Omerika: Der islamische Religionsunterricht ist dafür enorm wichtig: Kinder und Jugendliche müssen von klein auf lernen, kritisch mit der Religion umzugehen, ohne dass gleich der Abfall vom Glauben droht.

Mohagheghi: Das Problem ist, dass der Staat für die Einführung des Religionsunterrichts einen Ansprechpartner ähnlich den Kirchen will, wir diesen aber nicht haben. Schaffen wir also Organisationen, die atypisch für den Islam sind? Es wäre auf jeden Fall fatal, wenn der Staat sich auf einen Verband oder eine Organisation festlegen würde.

Omerika: Die Verbände als religiöse Organisationen haben ohne Frage ihre Berechtigung. Das Problem entsteht, wenn sie für sich beanspruchen, den Islam in seiner Gesamtheit zu repräsentieren, denn sie können nicht für alle Muslime hierzulande sprechen. Aber ich denke, dass dies mittlerweile auch in der Öffentlichkeit angekommen ist.

Was kann die Islamkonferenz bei all dem bewirken?

Omerika: Sie kann die Debatte versachlichen.

Mohagheghi: Und dazu beitragen, dass wir irgendwann diese Extraräume für Muslime nicht mehr brauchen, weil ihre Belange gesamtgesellschaftlich diskutiert werden.