: Prämien für den Einsatz im Grünen
AUS MOERS UND GOCH HENK RAIJER
Die drei Grad mehr machen sich sofort bemerkbar. Schon nach wenigen Minuten steht manch einem der fünf jungen Männer im sonnengetränkten Treibhaus der Schweiß auf der Stirn. Der Chef hingegen ist in seinem Element. „Kommt ruhig weiter rein in die Reihen“, ermuntert Karl-Heinz van Cleef die Jobaspiranten aus Moers, Neukirchen und Vluyn, die an diesem warmen Mai-Tag in seine Gärtnerei gekommen sind, weil sie bei ihm arbeiten wollen. „Die Triebe brauchen Licht, damit die Gurken schön grün und gerade werden“, erklärt der 47-Jährige, während er mit seinen großen Händen hie und da ein Blatt vom Stamm zieht. „Im Moment machen das meine Polen, aber für die Pflegearbeiten am Vormittag brauchen wir noch zwei Kräfte.“
Anderthalb Hektar hat die Gärtnerei van Cleef in Saelhuysen am Niederrhein unter Glas, produziert werden Schlangengurken, Partygurken, Tomaten und Kürbisse für Großabnehmer wie Lidl und Direktvermarkter in der Region. „Wir sind ein konventionell arbeitender Betrieb“, sagt van Cleef. Pflanzenschutz sei daher Sache von Raubmilben und Schlupfwespen, die Kulturpflege erfolge in Handarbeit. Und die will er auf Anfrage des Beschäftigungsträgers SCI in Moers gern auch von einheimischen Helfern machen lassen, die er an sechs Tagen die Woche für sechs Stunden sozialversicherungspflichtig anstellen will. „Ich suche zwei Leute, die Blätter schneiden und später bei der Ernte einsteigen“, sagt van Cleef und schaut dabei jedem der fünf Männer freundlich aber fordernd in die Augen. Die lächeln unsicher, können es aber ganz offenkundig kaum erwarten, dem Chef ihren Lebenslauf in die Hand zu drücken.
Bei Leistung sechs Euro
„Dürfen die Leute denn damit rechnen, für länger als vier Wochen beschäftigt zu werden?“, fragt Cornelia Buhren, Leiterin des Projekts „Vermittlung Saisonarbeit“ beim SCI Moers, den Gärtner. Buhren betreut die Bewerber als Fallmanagerin und fährt sie in regelmäßigen Abständen auf den „Sklavenmarkt“. Der SCI versucht im Auftrag der Arbeitsagentur des Kreises Wesel, die neue Erntehelfer-Regelung der Bundesregierung umzusetzen, indem er Langzeitarbeitslosen eine Tätigkeit auf dem Land schmackhaft macht und Unternehmer überredet, auch deutsche Arbeitskräfte für Saisonarbeiten heranzuziehen. „Klar suchen wir jemanden für länger“, erwidert van Cleef. „Wir lernen die Leute schließlich an, da wären vier Wochen schlecht.“ Bezahlt werde nach Tarif 5,17 Euro die Stunde. Angefangen werde Punkt sieben Uhr morgens, in Stoßzeiten auch schon mal sonntags, sagt van Cleef, der betont, dass er bei entsprechender Leistung durchaus bereit sei, auf sechs Euro zu erhöhen. „Hat jemand Interesse?“
Afshin Mirjabery hat. Der 36-jährige Moerser, der bis zu seiner Flucht aus dem Iran im Dezember 1995 als Goldschmied, Buchhändler und Kampfsporttrainer gearbeitet hat, will den Job beim Gärtner unbedingt. „Hauptsache, ich verdiene mein eigenes Geld“, sagt der dunkelhaarige Mann, der seit zweieinhalb Jahren keine Arbeit hat. Für einen Job in der Gärtnerei indes ist er einen Tick zu formell gekleidet. Feucht und warm sei es schon im Treibhaus, aber „am Vormittag ist das gut auszuhalten“, macht er sich Mut für sein mögliches Engagement. „Haben Sie eine Arbeitserlaubnis“, fragt der Chef Afshin Mirjabery, der über den einen oder anderen Satz noch stolpert. „Ich habe nämlich viele Probleme mit Asylanten, die gerne bei mir arbeiten würden und für die ich mich bei der Agentur verwende, die aber dann doch abgeschoben werden“, erklärt van Cleef. „Ich besitze einen deutschen Pass“, sagt Mirjabery und strahlt in die Runde. Van Cleef: „Na, dann ist ja alles bestens.“
„Unzuverlässig“
So gelassen, wie Karl-Heinz van Cleef aus Saelhuysen die neue Erntehelfer-Regelung der Bundesregierung nimmt, sind nicht alle Landwirte in Nordrhein-Westfalen. Im Gegenteil, nach Angaben der NRW-Regionaldirektion der Arbeitsagentur sperren sich viele bewusst gegen den Einsatz von deutschen Arbeitslosen als Erntehelfer oder Hilfskraft bei der Pflanzenpflege. „Viele Landwirte halten die Arbeitslosen für unmotiviert, unzuverlässig und körperlich wenig belastbar“, erklärt deren Sprecher Werner Marquis. Ende 2005 hatte die Bundesregierung beschlossen, Landwirten nur noch ein Kontingent von 80 Prozent an ausländischen Erntehelfern zuzusprechen, um mehr Saison-Arbeitsplätze mit deutschen Erwerbslosen besetzen zu können (s. Kasten). „Die Bauern waren von Anfang an mit der Regelung nicht einverstanden“, so Marquis. Jetzt versuchten sie, Vorurteile gegen die Arbeitslosen zu schüren.
Aus Sicht der Landwirtschaftskammer sind die Vorbehalte berechtigt. Die Bauern würden sich beklagen, kaum Arbeitslose für den Job auf dem Land zu finden, meint Bernhard Rüb, Sprecher der Kammer in NRW. „Viele Arbeitslose kommen erst gar nicht zu den Bauern“, so Rüb. Und von denen, die sich bei den Höfen melden, hielten die meisten nicht lange durch. „Für das Spargelstechen zum Beispiel findet man keine deutschen Erntehelfer.“ Vorurteile gegenüber dem Job gebe es auch bei vielen Hartz-IV-Beziehern, räumt Agentur-Sprecher Marquis ein. Da habe es Überzeugungsarbeit gebraucht, um eine Gruppe Bereitwilliger zusammen zu bekommen.
Afshin Mirjabery braucht den sanften Druck nicht, der ALG-II-Empfänger hat sich freiwillig bei Cornelia Buhren vom SCI Moers gemeldet. Weil er ein Auto hat, machen ihm auch die 13 Kilometer von Moers bis Saelhuysen nichts aus. Für einige Kandidaten ist die Anfahrt durchaus ein Problem, weil Saelhuysen nicht ans öffentliche Nahverkehrsnetz angeschlossen ist. Da sieht Karl-Heinz van Cleef allerdings wenig Spielraum: „Wer nicht pünktlich ist, hat schon verspielt“, wirft er leutselig in die Runde, während er die fünf Bewerbungsmappen einsammelt, die er mit seiner Frau am Abend durchsehen will.
Auch in Nierswalde, gut 30 Kilometer nördlich bei Goch, ist für Arbeitswillige die Mobilität das größte Problem. Doch hier haben die zehn Frauen, die sich im Gartenbaubetrieb Nica für zwei Tage zur „betrieblichen Trainingsmaßnahme“ eingefunden haben, bereits nach wenigen Stunden Fahrgemeinschaften gebildet. Sie kommen aus Kevelaer, Weeze und Goch und können, anders als die Klienten vom SCI Moers, allesamt am nächsten Montag anfangen. Wenn sie wollen. „Wir versuchen da weich ranzugehen und achten darauf, was zumutbar ist“, sagt Herbert Stauber, Fallmanager bei SOS Kinderdorf e.V. Niederrhein, der an diesem ersten Tag des Schaulaufens seiner Klientinnen zusammen mit einer Kollegin und dem Geschäftsstellenleiter der Arbeitsagentur Goch aufgelaufen ist. Diplompädagoge Stauber, ein Mittdreißiger, der auch Arbeitspsychologie studiert hat, nennt das „assistierte Vermittlung“.
Durchhalteprämie
Bislang haben Michael und Yvonne de Winkel in Spitzenzeiten stets auf Leiharbeiter gesetzt, in der Regel waren das Polen. „Aber dann kam da die Email vom Landwirtschaftsverband mit der Anfrage, für Saisonarbeiten bevorzugt inländische Hilfskräfte einzustellen“, erzählt der 28-jährige Inhaber der Gärtnerei Nica, der seine Millionen schwere Zierpflanzenzüchtung erst vor zweieinhalb Jahren auf einem Rübenacker errichtet hat. 15 Hektar Anbaufläche hat de Winkel zur Verfügung, davon 12.000 Quadratmeter unter Glas. Die zehn Frauen, die heute bei ihm Callunen stecken, braucht er für vier Wochen. Feste Kräfte benötige er keine weiteren, sagt de Winkel, der neben vier Polen und sechs Frauen aus der Nachbarschaft vier Angestellte beschäftigt.
Für Anja Kaiser aus Goch geht der Tariflohn zusammen mit dem vom Chef in Aussicht gestellten Leistungsbonus in Ordnung. Mit der „Motivationsprämie“ von 20 Euro netto am Tag, die die Arbeitsagentur zusätzlich jedem zahlt, der mindestens 14 Werktage durchhält, käme sie womöglich auf annähernd 1.200 Euro netto im Monat. „Als Köchin verdient man auch nicht besser“, sagt die kräftige junge Frau mit dem hoch gesteckten Haar, die im Sitzen drei Zentimeter große unbewurzelte Callunen-Stecklinge in kleine Plastikbehälter mit Erde einpflanzt.
Seit Januar ist die 33-Jährige, die sieben Jahre als Beiköchin in der inzwischen geschlossenen Nato-Kaserne in Goch angestellt war, arbeitslos gemeldet. Der Verein SOS Kinderdorf, der inzwischen auch als Träger für berufliche Wiedereingliederung aktiv ist, soll sie dauerhaft in Lohn und Brot bringen. „Unser Projekt ist langfristig angelegt, die zehn Frauen hier werden im Juni in einen anderen Betrieb vermittelt“, sagt Herbert Stauber. Insgesamt 60 „Benennungen“, Frauen und Männer im Alter zwischen 20 und 56 Jahren, habe die Arbeitsagentur im Kreis Kleve SOS „zugeführt“. Die soll der Träger nach einer Phase der „Arbeitsgewöhnung“ in den ersten Arbeitsmarkt unterbringen.
„Ich bin froh über diese Alternative“, sagt Anja Kaiser, während sie sich daran macht, die letzten Reihen des mit Erde ausgelegten Tabletts mit Stecklingen zu füllen. „Ist immerhin besser, als zu Hause rumzusitzen.“