piwik no script img

Archiv-Artikel

Jagdszenen in Stellingen

Nach Zusammenkunft von SS-Veteranen und Vertretern des neonazistischen Spektrums nimmt Hamburger Polizei Gegendemonstranten fest. Veranstalter von Vortragsnachmittag zur „Niederlage“ 1945 distanzieren sich

Von der Website ist der Hinweis zu der „Vortragsveranstaltung zum 8. Mai“ gelöscht worden. Keine 24 Stunden nach der Veranstaltung mit „Veteranen aus dem Zweiten Weltkrieg“ bemüht sich die Pennale Burschenschaft „Chattia Friedberg“, alle Indizien für ihre Beteiligung verschwinden zu lassen. Unter „Aktuell“ findet sich auf ihrer Internetpräsenz nurmehr die Behauptung, die Veranstaltung in Hamburg-Stellingen sei von der Burschenschaft weder „angemeldet noch durchgeführt worden“.

Die Bemühungen überraschen nicht. Waren doch am Sonntagnachmittag gut 30 Gäste aus dem gesamten neonazistischen Spektrum zu dem von der „Chattia“ beworbenen „Pflichttermin“ gekommen (taz berichtete). Und hatten zwei Stunden lang im Saal des Restaurants „Ratskeller“ den Redebeiträgen zum 61. Jahrestag der „Niederlage“ zugehört. So bezeichneten die anwesenden NPD-Funktionäre und Kameradschafts-Aktivisten das Kriegsende. Im Anschluss dann wurden die Kameraden per Bus abtransportiert, und die eilig herbeigerufene Polizei nahm etliche Gegendemonstranten in Gewahrsam.

Dem Verfassungsschutz zufolge warb die „Chattia Friedberg“ bereits im vergangenen Jahr mit Kleinanzeigen in NPD-Presseorganen um Mitglieder. Einzelne Burschenschaftler seien selbst in der rechtsradikalen Szene aktiv. „Jeder wirklich Nationale“, meint der Sprecher der Burschenschaft dazu, „wird hier doch vom Verfassungsschutz beobachtet.“ Zur NPD-Nähe sagt er nichts.

Wer seine sonntäglichen Gäste waren, will der Betreiber des „Ratskellers“ im Souterrain des Rathauses Stellingen nicht gewusst haben: „Ein Privatmann hat den Saal gebucht.“ Während des Nationalsozialismus kam in dem Keller ausgerechnet die Hamburger „Swing-Jugend“ zusammen, die vom Sicherheitsdienst der SS verfolgt wurde. Und heute trifft sich dort normalerweise regelmäßig die SPD.

Für die Rechten stellte die Polizei am Sonntag einen Bus bereit. Denn inzwischen war vor dem Lokal eine Gegendemonstration auf mehr als 50 Personen angewachsen. Kaum war der Bus weg, schritt die Bereitschaftspolizei ein und nahm zehn Demonstrierende in Gewahrsam. „Wegen Gefährdung des Straßenverkehrs“, so eine Polizeisprecherin. Steine seien keine geflogen.

„Unglaublich“, sagt Ines Schwarzarius, Distriktsvorsitzende der SPD im Stadtteil. Zu „Jagdszenen“ sei es im Verlauf des Einsatzes gekommen. Mit weiteren Genossen sei sie zufällig am „Ratskeller“ vorbeigekommen. Als sie sich genauer habe informieren wollen, sei sie auf vier ältere Herren getroffen. Auf die Frage, ob diese zur „Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Soldaten der ehemaligen Waffen-SS“ (HIAG) gehörten, habe einer freimütig geantwortet, dass sie im Gegensatz zu den Sozialdemokraten nicht umerzogen worden seien – und darauf stolz. Andreas Speit